Von
Ozan Keskinkılıç
Abstract Geschlechtervorstellungen, Sexualitäts-
und Gewaltfantasien erhalten in antimuslimischen Narrativen einen zentralen
Stellenwert. Die Sorge um den Schutz der weißen Frau vor der Sexualität des nicht-weißen
Mannes steht in historischer Linie zu tradierten Orientbildern und kolonialen Diskursen,
die mit Exklusion und rassistischer Verfolgung zusammenhängen. Dieser Artikel geht antimuslimischen Narrativen im
Diskurs der „sexuellen Gefahr“ vor und nach der medialen Berichterstattung zu
sexualisierter Gewalt am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht nach und
beleuchtet das Sexualmotiv als zentralen Schauplatz des Rassismus. Es wird der
Frage nachgegangen, inwiefern der Diskurs über den Schutz der weißen Frau sowohl
biologistische Trennlinien begründet, als auch mit der Verteidigung europäischer Kulturdominanz einhergeht. Die
Ethnisierung von Sexismus, Gewalt und Differenz in der Figur des Muslims
offenbart sich demnach als Ausdruck hegemonialer Debatten über Leitkultur und
mangelnde Integrationsbereitschaft und begründet die Exklusion und
Ungleichbehandlung als nicht-deutsch und fremd markierter Menschen.
Keywords:
Islamophobie, Antimuslimischer Rassismus, Orientalismus, Islam, Sexualität,
Gender, Sexismus, Integration, Asyl, Flucht
Das Schreckgespenst der
‚islamischen Bedrohung‘ gehört nicht erst seit der Gründung der Bürgerbewegung
PEGIDA oder der Alternative für Deutschland (AfD) zum festen Bestandteil
politischer Debattenkultur über Migration und Integration. Im Gegenteil baut
die rechtspopulistische Agenda gegen Islam, Muslim*innen, Schwarze und People
of Color[1] auf in der Mitte der Gesellschaft
verankerte Rassismen auf. Die Rhetorik gegen Überfremdung und den Verlust
deutscher Werte und Identität geht auch an aktuellen Debatten über Flucht, Asyl
und die Integration Geflüchteter nicht vorbei. Besonders der Islam als
zugeschriebener Religions- und Kulturanker der aus Syrien geflüchteten Menschen
erfreut sich besonderen Interesses im Ruf nach restriktiver Asylpolitik und
Diskursen um defizitäre Integration. Spätestens seit der medialen
Berichterstattung über sexualisierte Gewalt an Frauen am Kölner Hauptbahnhof in
der Silvesternacht durch „nordafrikanisch“ und „arabisch aussehende“ Männer scheint
die deutsche Willkommenskultur die Grenzen ihrer Toleranz und
Aufnahmefreudigkeit erreicht zu haben. Neben Geschlechtervorstellungen und dem
Topos eines aggressiven, patriarchalen Islam, der Frauen unterdrücke, ergänzt
das Sexualmotiv in seiner Beziehung zu historischen, kolonialen
Repräsentationen über Schwarze und People of Color das grundlegende antimuslimische
Repertoire. Insofern entfaltet sich der antimuslimische Rassismus in seiner
Verschränkung mit Gender und Sexualität. Darin steht der antimuslimische
Rassismus in besonderer Nähe zu anderen Ausdrucksformen des Rassismus, der als
nicht-weiß markierte Menschen durch die Zuschreibung naturalisierter und
essentialisierter Merkmalszuschreibungen, ob kulturell, religiös und/oder
biologisch, homogenisiert sowie Ungleichheit und Dominanz legitimiert (vgl. Rommelspacher
2009). Sexualität offenbart sich in dieser Kontinuitätslinie kolonialer
Unterdrückung als entscheidender Schauplatz des Rassismus. Will man „die
rassistische Situation psychoanalytisch verstehen“, so Frantz Fanon,
Wegbereiter der postkolonialen Kritik, in „Schwarze Haut, Weiße Masken“ (1985, 115),
„muß man den sexuellen Phänomenen große Bedeutung beimessen.“
Sexualisierte Orientfantasien
Anfang des 18.Jahrhunderts
machte sich der französische Orientalist Antoine Galland (1646-1715) einen
Namen unter begeisterten Märchensammler*innen und Reiselustigen in Europa.
Galland präsentierte seinem europäischen Publikum die französische Übersetzung
der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Was ursprünglich eine uneinheitliche
Sammlung mündlicher Überlieferungen wandernder Geschichtenerzähler war, die
sich je nach Epoche, Ort und individuellen Belieben des Erzählers unterschied,
fand in Gallands Werk einen geschlossenen Körper, der laut Rana Kabbani (1993)
weit mehr über eine wilde, europäische Vorstellungskraft aussage, als über die
Bewohner*innen des Orients. Kabbani geht europäischen Mythenbildungen auf die
Spur und stellt fest, dass es sich bei Gallands Werk um keine exakte
Übersetzung handele. Stattdessen veränderte Galland die mündlichen
Überlieferungen und passte sie zur Unterhaltung seiner westlichen Leserschaft an
(ebd., 50). Andreas Pflitsch (2007, 168) spricht deshalb „eher [von] eine[r]
Geschichte von Adaptionen, die sich zugleich als ein Spiegelbild der
europäischen Kultur-, Sitten- und Literaturgeschichte der letzten drei
Jahrhunderte erweist“. Pflitsch zählt den britischen Reisenden, Diplomaten und
Schriftsteller Richard Francis Burton (1821-1890) zu den einflussreichsten
Übersetzern der orientalischen Erzählungen. Entgegen der viktorianischen
Moralvorstellungen und Prüderie war „[d]er Orient […] für ihn ein imaginärer
Raum verdrängter Gefühle und verleugneter Sehnsüchte“, so Pflitsch (ebd., 175).
Auch
Kabbani (1993, 105) erkennt in Burtons Werken eine bemerkenswerte Kombination
aus Gewalt, Erotik, Primitivität und Sexualität. Undenkbare Sexualpraktiken
zierten das tradierte Bild eines Arabiens, das abstoße und anziehe. Angereichert
mit soziologisch anmutenden Fußnoten und Kommentaren, verändert und angepasst
nach persönlichen sexuellen Gelüsten, kreuzten sich die Fremddarstellungen mit
ethnologisch-rassistischen Aufzeichnungen über einen fremden, anderen Orient (ebd.,
98ff.). So stellt die Autorin fest: „Der Orient, wie er in den Vorstellungen
Europas existierte, gewährte Entlastung von den sexuellen Repressionen des
viktorianischen Zeitalters. Er brachte die erotischen Sehnsüchte einer ganzen
Epoche zum Ausdruck, die sonst unterdrückt geblieben wären.“ (ebd., 63) Demzufolge
bereicherte sich der sexuelle Appetit des Kontinents an Geschichten eines
tradierten Orientbildes und seiner Bewohner*innen. Darin galt die orientalische
Frau als lüstern, dämonisch und unehrenhaft, eine Intrigantin, die ihren
Ehegatten betrüge. In ihrem niederen Charakter läge der Unterschied zur
europäischen Weiblichkeit, rein, vornehm und fromm (ebd., 86). Der
orientalische Mann hingegen sei ein gewalttätiger, rachsüchtiger Patriarch, der
sich an seinem Harem wild verginge. Burtons Kommentare setzten nicht selten
Menschen in Afrika und der „arabischen Welt“ mit Tieren gleich. Diese Nähe zum
Tier machte ihn zum rassischen Gegenteil des weißen Mannes (ebd., 102). So
schrieb Burton:
„Und das ist der Kayf des Arabers:
Geschmack an der animalischen Existenz; der passive Genuß der reinen Sinne; die
angenehme Schwüle, die träumerische Ruhe, der luftige Schloßbau, die in Asien
die Stelle des tatkräftigen, intensiven, leidenschaftlichen Lebens, das in
Europa herrscht, einnehmen. All das ist das Resultat einer nachgiebigen,
auffällig reizbaren Natur und einer außergewöhnlichen Sensibilität der Nerven;
es zeigt eine Wollust, die den nördlichen Regionen fremd ist, wo das Glück in
der Ausübung von geistigen und physischen Kräften besteht.“ (Burton zit. nach
Kabbani 1993, 89)
In diesen kulturellen
Zeugnissen offenbart sich ein dichotomer Diskurs, den Edward Said (1978) unter
dem Begriff des Orientalismus als politische Herrschaftsstrategie benennt. Dieser
Diskurs konstruiere den Orient als kulturellen, fremden und primitiven
Gegensatz und rechtfertige damit Kolonisierungsprozesse. Dieses kolonial
tradierte Orientbild, das gleichzeitig die Idee eines überlegenen,
zivilisierten und rationalen Westens formiert, wirke, wie Iman Attia (2009, 57)
in ihren Studien zum antimuslimischen Rassismus feststellt, bis heute nach. Der
Orient nehme die Stellung des Fremden an, zu dessen Konstruktion neben der
Exotisierung auch die Primitivisierung eines Gegenbildes gehöre.
Wissensbestände eines tradierten Orient- und Islambildes machen sich laut Attia
auch in aktuellen Kulturgütern von Film, Musik, Reiseliteratur bis hin zu
Reportagen und wissenschaftlichen Arbeiten bemerkbar (ebd., 57). Aus der
Auswahl und Betonung einzelner Orienterzählungen, ihrer Veränderung und
willkürlichen Adaption leiteten sich Bilder der Gewalt, Erotik und Sexualität
als wesentliche Diskursstränge ab. Exotischer Bauchtanz und animalische
Sexualität auf der einen Seite, Gewalt und Terror auf der anderen seien Teil
derselben Medaille: „Der Sehnsucht nach dem (weiblichen) Orient, die im
Exotismus anklingt, steht die Angst vor dem (männlichen) Islam gegenüber.“ (Attia
2007, 11) Im Gegensatz erscheine der Westen geschlechtslos, zeitlos und
universell. In Anbetracht der Rolle, die Sexualität in der Repräsentation und
Erfindung des Orients erhält, plädiert Meyda Yeğenoğlu (1998) für eine
feministisch-postkoloniale Lesart des Orientalismus. In ihrer Analyse der Verknüpfung
zwischen patriarchal-sexistischen und kolonial-imperialen Diskursen erkennt die
Autorin sexuelle Fantasien als wesentliches
Grundmoment des Orientalismus an. Demzufolge manifestiere sich der Orient in
kultureller und sexueller Differenzierung zugleich (ebd., 26). Das Kopftuch und
die Entschleierung der muslimischen Frau sind nach Yeğenoğlu beispielhaft für
den sexualisierten Orientalismus und seiner Penetrationsfantasie (ebd., 39). Gerade
Geschlechtervorstellungen, Frauenbilder und Sexualitätsfantasien erscheinen
zentral in der kritischen Betrachtung orientalistischer Diskurse.
Koloniale Kontinuitäten eines
sexualisierten Rassismus
Ende 2015 finden die Motive der
Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht Wiederbelebung in der Zeitschrift des Philologenverbandes
Sachsen-Anhalt (3/2015). Der darin veröffentlichte Leitartikel zur
Flüchtlingsdebatte mit dem Titel „Anpassung an unsere Grundwerte erforderlich“
philosophiert über jenen „Kayf“ des Arabers, der Burtons literarische
Sehnsüchte beflügelte. Es sind „junge, kräftige, meist muslimische Männer“ (Seltmann-Kuke/ Mannke 2015, 2),
die der Fachgewerkschaft der
Gymnasiallehrerinnen und -lehrer in Sachsen-Anhalt Sorgen bereiten:
„Viele der Männer kommen ohne ihre Familie oder Frauen und sicher nicht immer
mit den ehrlichsten Absichten. Legt man unsere ethischen und moralischen
Vorstellungen an, werden die Frauen in muslimischen Ländern nicht
gleichberechtigt angesehen und oft nicht gerade würdevoll behandelt. Es ist nur
ganz natürlich, dass diese jungen, oft auch ungebildeten Männer auch ein
Bedürfnis nach Sexualität haben.“ (ebd.)
Daraus ergäbe sich die folgende
Frage: „Wie können wir unsere jungen Mädchen im Alter ab 12 Jahren so
aufklären, dass sie sich nicht auf ein oberflächliches sexuelles Abenteuer mit
sicher oft attraktiven muslimischen Männern einlassen?“ (ebd.). Die
Prophezeiung einer sexuellen Gefahr, die von muslimischen Männern ausgehe,
schien sich in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof erfüllt zu haben. Die
nachfolgende mediale Berichterstattung über sexualisierte Gewalt identifizierte
geflüchtete Männer bzw. „nordafrikanisch“ und „arabisch aussehende“ Männer als besondere
Bedrohung. Unter dem Titel „Frauen klagen an.
Nach den Sex-Attacken von Migranten: Sind wir noch tolerant oder schon blind?“
portraitierte die Zeitschrift Focus
(am 09.Januar 2016) eine nackte, weiße Frau mit schwarzen, schmutzig
abgefärbten Handabdrücken überseht. Die visuelle Reinszenierung der „Rassenschande“
assoziiert Schwarzsein mit Schmutz und begreift Sexismus und Gewalt als genuine
Charaktereigenschaft der Anderen. Gleichzeitig erotisiert und
bagatellisiert das Titelbild sexualisierte Gewalt unter dem Schlagwort „Sex-Attacken“
und verdinglicht Frauen. In ähnlicher Manier veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (am 09./10.Januar
2016) ein Cover, auf dem ein schwarzer Arm zwischen zwei weiße Frauenbeine
greift. Die Farbensymbolik basiert zweifellos auf kolonialen Konnotationen, die
Schwarzsein mit niederem Charakter, Gefahr, Triebhaftigkeit und Aggression in
Beziehung bringen. Die bildliche Schwarz-Weiß-Metapher lässt sich problemlos in
gesellschaftliche Forderungen nach Segregation übersetzen, so wie in einem
durchgesetzten Schwimmbad-Verbot für geflüchtete Männer in Bornheim bei Bonn der
Fall, um Frauen, so die Begründung des Ausschlusses, vor sexueller Belästigung
zu schützen (Spiegel am 15.01.2016). Es ist bemerkenswert, dass der Schutz vor
sexuellen Übergriffen durch weiße Männer in diesem Diskurs unerheblich scheint.
Die Sorge um die Unschuld der
weißen Frau und ihr Schutz vor der Sexualität des nicht-weißen, fremden Mannes
stehen in historischer Tradition zu Diskursen, die mit Exklusion und
rassistischer Verfolgung zusammenhängen. Die Naturalisierung und
Hypersexualisierung muslimischer Maskulinität ziehen nicht nur eine klare
Trennlinie zu europäischer Norm und Moralität. Sie begründen die
Ungleichbehandlung jener, die ihrer Kultur nach dieser Fremdheit unterliegen. Der Diskurs der fremden Sexualität durchdrang im Zuge
des Kolonialismus auch den außereuropäischen Raum. Weiße Frauen vor Schwarzen
Männern zu schützen wurde zur Obsession europäischer Männer, die um sexuelle
und politische Vormacht zugleich bangten. So spielte die Kontrolle intimer
Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen im europäischen Kolonialismus eine
bedeutende Rolle, rassistische Kategorien zu begründen und koloniale Erzählung der
weißen Überlegenheit aufrechtzuerhalten (vgl. Stoler 2002, 45). Nicht zuletzt
war die Kastration Schwarzer Männer, die sexuelle Beziehungen zu weißen Frauen
hatten, wie Fanon (1985, 54) anmerkt, ein Ausdruck des sexuellen Phänomens im
Rassismus. Mit Verweis auf historische Archive bestätigt Grada Kilomba (2013, 85)
in „Plantation Memories“, dass bis in die 1950er Jahre gelynchte Schwarze
Männer in den US-Südstaaten nahezu stets Kastrationsritualen ausgesetzt waren,
wodurch die Hypersexualisierung des Schwarzen Körpers und der Versuch seiner körperlichen
Kontrolle sich mit Momenten der Begierde und Zerstörung vermische. Es
verwundert daher nicht, dass sich das Sexualmotiv als Ausdruck rassistischer
Verfolgung einen wichtigen Platz im modernen Antisemitismus erkämpfte und vor
lüsternen, triebhaften Juden warnte, die unschuldige blonde Mädchen
vergewaltigen würden (vgl. Braun
2000, 196ff; Ziege 2002, 101). Daran knüpft der Mythos der „Schwarzen
Schmach am Rhein“ an, der nach dem Ersten Weltkrieg weiße deutsche Frauen vor der
sexuellen Gefahr Schwarzer Soldaten in der französischen Armee warnte (Oguntoye/
Opitz/ Schultz 1986, 49ff.).
Stoler
(2002, 66ff.) konstatiert, dass der Diskurs über den Schutz der weißen Frau
verschiedene Aufgaben erfülle, einerseits legitimiere
er koloniale Segregation und Dominanz, andererseits imaginiere er den weißen
Frauenkörper als Eigentum und kulturellen Korpus europäischer Tugenden und
Werte. Mit ihrer unberührten Unschuld verteidige der weiße Mann nicht nur
biologistische Trennlinien, gleichzeitig konserviere er Privilegien, Moral und
Ethik, die er als europäische Errungenschaften versteht. Stoler stellt fest,
dass die weiße Frau damit zur Reproduktionsmaschine weißer Biologie und Kultur
erklärt wird, die den weißen Mann in ihrer sauberen und ehrlichen Beziehung vor
außereuropäischer Assimilation und Ansteckung mit niederer Kultur beschütze
(ebd.). Daraus folgt nicht zuletzt, dass der Kampf um biologische Reinheit von
einem Kampf um die Verteidigung europäischer Kulturdominanz als wesentlicher
Bestandteil des rassistischen Diskurses begleitet wird.
Der Sexismus der
Anderen: Externalisierung und Instrumentalisierung
Seit den Debatten um
sexualisierte Gewalt in der Silvesternacht entwickelt sich „nach Köln“ zu einer
Chiffre für die muslimische Bedrohung. Die Opfer sexualisierter Gewalt und
Sexismus als normalisierter Gesellschaftszustand scheinen in diesem
Diskursstrang zweitrangig. Die mediale Aufmerksamkeit empörte sich stattdessen
über „nordafrikanisch aussehende Männer“ und ihrer vermeintlich frauenverachtenden
Kultur als Kollektiveigenschaft. So twitterte die ehemalige Familienministerin
Kristina Schröder (am 04.01.2016) kurz nach den Ereignissen in Köln: „Sie
wurden lang tabuisiert, aber wir müssen uns mit gewaltlegitimierenden
Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur auseinandersetzen #Koeln“. Im ZDF-Interview
(am 05.01.2016) betont sie, dass es keinen „kulturellen Rabatt“ geben dürfe. Die
Auseinandersetzung mit der muslimischen Männlichkeit und ungleichen
Geschlechterverhältnisse sei „Kernpunkt der
Integration“. Dieser Rhetorik folgt auch Autor und ehemaliger ARD-Korrespondent
zu Algerien, Samuel Schirmbeck. In seinem Kommentar (FAZ am 11.01.2016)
erklärt er die Islamkritik für überfällig, denn in Köln sei angekommen, was in
der arabischen Welt zur muslimischen Normalität gehöre: „Sexuelle Übergriffe sind in islamischen Ländern die
Regel und nicht Ausnahmen. Eine Muslimin kann in Deutschland den Bus nehmen,
ohne befürchten zu müssen, begrabscht zu werden, eine Europäerin in Nordafrika
kann das nicht.“ Angesichts
zunehmender Angriffe auf muslimische Frauen im öffentlichen Raum und ihrer
Marginalisierung in der Mehrheitsgesellschaft scheint die Leugnung ihrer
Sexismuserfahrung in Deutschland einerseits, dem gleichzeitigen
Unsichtbarmachen ihrer Rassismuserfahrung und der Rolle des Kopftuches in Kämpfen
um nationale und gesellschaftliche Zugehörigkeiten andererseits (vgl. Korteweg/
Yurdakul 2014) mehr als zynisch. Juliane Hammer (2013, 109) berücksichtigt
diese strukturelle Verknüpfung antimuslimischer Diskurse mit Frauenbildern und
Geschlechtervorstellungen und spricht deshalb von „gendered Islamophobia“.
Damit stünden muslimische Frauen im antimuslimischen Zentrum, einerseits als
von Islam und Muslimen unterdrückte Frau imaginiert, andererseits als in der
weißen Mehrheitsgesellschaft diskriminiert. Hingegen greift Schirmbeck in
seinem Kommentar auf muslimische Frauen als „Kronzeuginnen“ zurück, die die
selektive und defizitäre Wahrnehmung über den Islam und seine aggressiven,
menschenverachtenden Auswüchse bestätigen würden. Diese Strategie weist
„islamkritischen“ Kronzeug*innen Authentizität wie Autorität zu, um, wie
Yasemin Shooman (2015) schlussfolgert, eine ganze Minderheit mit dem Ausweis
interner Stimmen zu diskreditieren und auszugrenzen. Muslimische Männlichkeit
wird letztlich zum Symbol frauenverachtender Kultur erklärt. So schreibt Alice
Schwarzer (2015, 6) in der EMMA Winterausgabe: „Viele der überwiegend jungen
Männer, die da jetzt zu uns kommen, sind bisher noch nicht einmal von einem
Hauch Gleichberechtigung der Geschlechter gestreift worden. Sie kommen aus
Kulturen wie dem Islam, in denen Frauen als minderwertig gelten (was durch die
Radikalisierung und Politisierung des Islam nicht gerade besser wird). Sie sind
überwiegend Araber, bei denen es, unabhängig vom Glauben, traditionell schlecht
bestellt ist um die Frauenrechte.“ In derartigen Klassifikationsmomenten
offenbart sich die Entlastungsfunktion einer Ethnisierung
von Sexismus als Ventil antimuslimischer Aversion. Dies trägt zur Vorstellung
importierter Gewalt in einem ansonsten scheinbar diskriminierungsfreien
Deutschland bei. Mit der Dämonisierung der muslimischen Denkfigur geht folglich
die Idealisierung eines „Wir“ einher, das Sexismus erfolgreich besiegt hätte. Damit werden Konflikte, Probleme, Gewalt und
Defizite auf die Anderen externalisiert, simultan Angehörige der „eigenen“
Gruppe von Schuld und Verantwortung entlastet. Nach
Attia (2009, 78) handele es sich bei diesen Kulturalisierungen um eine Entpolitisierung:
„Indem politische, gesellschaftliche und soziale Phänomene zunehmend mit ‚der
Religion‘ der anderen verknüpft werden, können eigene Anteile an diesen
Phänomenen und am problematischen Verhältnis zueinander geleugnet werden. Die
Lage der Anderen wird mit deren ‚Kultur‘ begründet, die wesentlich durch ‚ihre
Religion‘ geprägt sei, ‚der Islam‘ sei für desolate Zustände verantwortlich und
gefährde darüber hinaus ‚uns‘.“
#Ausnahmslos gegen Sexismus und
Rassismus
Gegen diese Pauschalisierung
von Täterbildern und der Instrumentalisierung feministischer
Anliegen für rassistische Zecke wehrt sich nicht zuletzt die Hashtag-Kampagne
#ausnahmslos[2].
Mit dem Ziel, zu einer Versachlichung der Debatte um sexualisierte Gewalt
beizutragen, fordern die Aktivistinnen, Sexismus ausnahmslos zu bekämpfen. Sie
fordern eine Verschärfung des Sexualstrafrechts, öffentliche Aufklärungsarbeit
und eine differenzierte Debatte über sexualisierte Gewalt, in der Sexismus und
Rassismus nicht gegeneinander ausgespielt werden. Emine Aslan, Aktivistin und
Mitverfasserin des Aufrufs #ausnahmlos, kritisiert das Ungleichgewicht
aktueller Sexismusdebatten, „[w]enn ich bei einem weißen deutschen Mann sein
Geschlechterbild […] nicht auf sein Deutschsein zurückführe oder auf sein
christlich sein oder sein atheistisch sein […]. Man muss fragen, warum das bei
der muslimischen Person oder bei der schwarzen Person oder der geflüchteten
Person zum Thema wird.“ (Bayerischer Rundfunk, Interview am 12.01.2016). Greg
Noble (2012) führt diese Asymmetrie auf die Figur des Muslims als Manifestation
des Bösen zurück. Die Idee des Bösen werde von konkreten Tatbeständen und
Individuen abstrahiert und auf all jene projiziert, die das vermeintliche
Kollektivmerkal „Muslim“ teilen: „This imagining of evil moves from the idea of
a specific act being evil, to the perpetrator being evil, to a cultural
community being evil. Such
moves constitute a kind of ‘permission’ to indulge in affectively charged
social acts that target those identified as social demons” (ebd., 220f.). Die Berichterstattung
und politischen Debatten rund um die Silvesternacht sind beispielhaft für
diesen Prozess der Rassifizierung. Mit Verweis auf die Täterbeschreibung
„nordafrikanisch und arabisch aussehend“, werden als muslimisch markierte
Menschen auf Basis ihres äußeren Erscheinungsbildes oder vermeintlicher kulturell-religiöser
Zugehörigkeit kollektiv mit Sexismus und Gewalt in Verbindung gebracht. Es ist
bemerkenswert, wie die Materialisierung des Bösen in der Gestalt des Muslims eigene
Moralität bestätigt, Anomalität auf religiöse und kulturelle Fremdheit verlagert
und das Selbstbild vom Stigma des Bösen befreit. Die Erfindung des
generalisierten Anderen dient nicht zuletzt der Erhaltung und Verteidigung von
Privilegien eines „Wir“, das Negativität, Perversion, Gewalt,
Geschlechterungleichheit und Kriminalität auf die Körper der Anderen
exportiert. Ein „Wir“ von Schuld und Immoralität reinzuwaschen ist ein
wesentliches Moment moralisch legitimierter, gesellschaftlicher Ausschlüsse.
Leitkultur und Exklusion in der
Integrationsdebatte
Die Idee der deutschen Leitkultur
stützt diesen Vorgang, indem eigene Überlegenheit beansprucht und das Andere
als Abnormalität konstruiert wird. Die einseitige Integrationsforderung an Muslim*innen mündet
schnell in den Diskurs einer fehlenden Integrationswilligkeit oder gar -fähigkeit.
So wirbt CDU-Politiker und Bundesinnenminister
Thomas de Maizière für ein Gesetz, das Geflüchtete zur Integration verpflichtet
und bei Verstoß unter anderem mit Leistungskürzungen sanktioniert. Diese
Integrationspflicht müsse das Erlernen der deutschen Sprache und entsprechende
Kenntnis und Akzeptanz deutscher Grundwerte beinhalten. „Jeder sollte unsere
Kultur, unsere großen Dichter, unsere Architektur kennen“, so der
Bundesinnenminister im Interview (Spiegel am 08.04.2016). Im Anschluss
definiert er Respekt, Höflichkeit und Hilfsbereitschaft zu Eigenschaften der
deutschen Leitkultur. Inwiefern diese Werte und Kenntnisse über deutsche
Dichter, Architektur und Kultur tatsächlich von dem abgegrenzten deutschen
„Wir“ internalisiert sind, scheint in dieser Hinsicht überflüssig. Dieser
Diskurs vernachlässigt, inwiefern Geflüchtete zum Spielball populistischer
Verhandlungen werden. Währenddessen finden die Lebenssituationen von
Geflüchteten in ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Spannbreite
wenig Berücksichtigung. Die neu belebte Leitkultur-Debatte unterstellt hingegen
mangelnde Integrationsbereitschaft. Eine Integrationspflicht für Angehörige der
Mehrheitsgesellschaft, geschweige denn für rechtspopulistische Gruppen, scheint
in dieser konzeptionellen Überlegung undenkbar. Das Grundgesetz auf Arabisch zu
übersetzen geht demnach mit einer Tradition einher, das Problem und Defizit bei
Muslim*innen zu suchen, während Verfassungstreue und Demokratieverständnis
weißer Deutscher (oder eingewanderter weißer EU-Bürger*innen) nicht in Frage
gestellt wird. Ihre Geburt auf bundesdeutschem Boden und ihre definierte
Zugehörigkeit zum „Abendland“ befreit sie von der Integrationspflicht oder der
Erwartung, Loyalität und Treue zu beweisen. Schwarze und People of Color stehen
hingegen unter Generalverdacht, ihrer Kultur, Religion und vermeintlichen
Herkunft nach demokratiefeindlich und „anders“ zu sein. In einem offenen Brief[3] an
die Bundesregierung fordern deshalb Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und
Autor*innen einen gemeinsamen Integrationsvertrag, dem sich die Gesellschaft
als Ganzes verpflichten müsse, anstatt durch Teilungen in „Deutsche“ und „Migrant*innen“
zu spalten und Geflüchteten gegenüber Misstrauen zu wecken. Letztlich liegt im
Ungleichgewicht einer einseitigen Integrationsaufforderung das Grundproblem
einer fehlenden Debatte über institutionelle und strukturelle Ausgrenzung
marginalisierter Menschen. Im Diskurs über den Schutz weißer Frauen vor der
Sexualität und Geschlechterungleichheit der Anderen sowie der begleitenden
Verteidigung deutscher Werte und Kulturdominanz liegt die Eigenheit aktuell
geführter Debatten um Asyl, Flucht und Integration. Sie reihen sich neben
Diskurse um Neutralität, die erst dann gefährdet scheint, wenn Lehrerinnen Kopftuch
tragen, nicht jedoch wenn gesellschaftlich verankerte Wissensordnungen Menschen
als Fremde markieren, sie als nicht-deutsch exkludieren und durch die
Zuschreibung einer sexuellen, kulturellen und religiösen Differenz diskriminieren.
Ozan Keskinkılıç
(*1989) studiert Internationale Beziehungen in Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen kritische
Rassismus-, Antisemitismus- und Migrationsforschung, Postkoloniale Theorie sowie
globale Ungleichheiten und ‘Entwicklung‘. Er ist Mitarbeiter im Praxisforschungsprojekt
“Erinnerungsorte. Vergessene und verwobene Geschichten“ an der Alice Salomon
Hochschule Berlin und forscht zu kolonialen Wissensordnungen, Orientalismus und
Narrativen des antimuslimischen Rassismus.
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zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen und ihren Wechselwirkungen, Bielefeld:
transcript Verlag, 47-58.
Spiegel am
15.01.2016, Bornheim bei Bonn: Schwimmbad-Verbot für männliche
Flüchtlinge,
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/bornheim-maennliche-fluechtlinge-erhalten-schwimmbad-verbot-a-1072150.html,
aufgerufen am 30.04.2016.
Spiegel am 08.04.2016, De
Maizière zur Integration von Flüchtlingen: „Jeder muss wissen, was in
Auschwitz passiert ist“. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/de-maiziere-zu-integration-von-fluechtlingen-jeder-muss-wissen-was-in-auschwitz-passiert-ist-a-1086088.html,
aufgerufen am 28.04.2016.
Stoler, Ann Laura (2002):
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University of California Press.
Süddeutsche
Zeitung/ Am Wochenende (72.Jahrgang, Nr.6, 9./10.01.2016): Titelseite. München.
Yeğenoğlu, Meyda (1998): Colonial fantasies: towards a
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ZDF-Interview
am 05.01.2016 mit Kristina Schröder: Nach Überfällen in Köln Schröder: Tabus spielen Rechtsextremen in die Hände. http://www.heute.de/ex-ministerin-schroeder-sieht-nach-ueberfaellen-in-koeln-und-hamburg-problem-mit-muslimischen-maennern-41690074.html, aufgerufen
am 28.04.2016.
Ziege,
Eva-Maria (2002): Mythische Kohärenz. Diskursanalyse des völkischen Antisemitismus. Konstanz:
UVK-Verl.-Ges.
[1] Dabei handelt es sich
um eine antirassistische Selbstbezeichnung von Rassismus betroffener Menschen:
„ein politischer Kampfbegriff, der rassistisch
marginalisierte Communities und ihre Mitglieder über die Grenzen ihrer
›eigenen‹ ethnischen, nationalen, kulturellen und religiösen Gruppenzugehörigkeiten
mobilisiert und miteinander verbindet“ (Ha 2009).
[2] Ausnahmslos-Kampagne: Gegen
sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. www.ausnahmslos.org, aufgerufen am 28.04.2016.
[3]
Die Initiator*innen
stellvertretend für die Erstunterzeichner*innen sind Georg Diez, Farhad Dilmaghani, Prof.
Dr. Naika Foroutan und Prof. Dr. Werner Schiffauer. Der offene Brief wird
unterstützt vom Rat für Migration , DeutschPlus – Initiative für eine plurale
Republik e.V und Neue deutsche Medienmacher e.V. und ist als Online-Petition
verfügbar: https://www.openpetition.de/petition/online/das-geplante-integrationsgesetz-spaltet-wir-brauchen-einen-integrationsvertrag-fuer-alle,
aufgerufen am 05.05.2016.
Bitte diesen Beitrag wie folgt zitieren: Ozan Keskinkılıç (2016): ‚Der orientalische Mann‘ vor|nach Köln. Zur sexuell-kulturellen Dynamik des antimuslimischen Rassismus in der Fluchtdebatte. In: Gökce Yurdakul, Regina Römhild, Anja Schwanhäußer, Birgit zur Nieden, Aleksandra Lakic (Hg.): E-Book Project of Humboldt-University Students: Witnessing the Transition: Refugees, Asylum-Seekers and Migrants in Transnational Perspective. Preview (Weblog), https://www.blogger.com/blogger.g?blogID=863130166696833325#editor/target=post;postID=3697950972162993466;onPublishedMenu=allposts;onClosedMenu=allposts;postNum=0;src=link
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