Freitag, 2. September 2016

Herzlich Unwillkommen? Eine Kritik am Berliner Konzept zur schulischen Integration geflüchteter Kinder


Von Hannah Göppert



Abstract
Eine der wichtigsten Aufgaben, vor der Schulen in Deutschland momentan stehen, ist die Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunftssprache in ihren Unterricht. Um Kindern schnell Deutschkenntnisse zu vermitteln und gleiche Bildungschancen zu ermöglichen, hat das Land Berlin nach Sprachkenntnissen getrennte Lerngruppen – sogenannte Willkommensklassen – eingeführt. Trotz ihres vielversprechenden Namens ist es wichtig, kritisch zu prüfen, inwiefern die Einrichtung ihren Zielen gerecht wird und wo Hindernisse bestehen. Dieser Artikel leistet einen Beitrag zur Reflexion der praktischen Gestaltung der sogenannten Willkommensklassen sowie der ihnen zugrunde liegenden pädagogischen und bildungspolitischen Konzepte. Im Rückgriff auf eine explorative Untersuchung an Neuköllner Grundschulen zeigt sich, dass die Willkommensklassen in ihrer aktuellen Gestaltung sowohl die Bildungschancen als auch die soziale Integration der zugewanderten Kinder beeinträchtigen. Vielmehr scheint die ethno-linguistische Segregation das Erlernen der deutschen Sprache zu erschweren und eine defizitorientierte Perspektive auf die Schüler_innen zu verstärken. Der Artikel analysiert die Willkommensklassen auch im Kontext des deutschen Bildungssystems, das auf Selektion und homogene Lerngruppen ausgerichtet ist. Ihre Mängel weisen somit auf notwendigen institutionellen Wandel von Schulen hin. Konzepte aus der interkulturellen Pädagogik geben Impulse für eine stärkere Anerkennung von Mehrsprachigkeit und multikulturellen Identitäten, die Diskriminierungen abbauen und zum Bildungserfolg von neu zugewanderten Kindern beitragen könnten.

One of the most important challenges German schools are currently facing is the integration of young refugees and immigrants without command of the German language. In order to create equal opportunities and to help children acquiring the language quickly, the federal state Berlin has created separated classes for German learners, called Welcome Classes. Despite their promising name it is necessary to critically assess the existing obstacles that limit meeting the institution’s goals. This article reflects on the practical organization of the Welcome Classes, as well as their underlying pedagogical concepts and educational policies. Drawing on an explorative study carried out at primary schools in the district Neukölln, I suggest that in their current design the Welcome Classes are harmful both for children’s educational opportunities and social integration. Their ethno-linguistic segregation rather seems to make language learning more difficult and to increase a deficit-perspective onto the students. The article also analyzes the Welcome Classes in the context of the German educational system’s structural principles of selectivity and homogeneity. Their flaws therefore point to the need for institutional change in German schools. Intercultural pedagogy gives impulses for more appreciation of multilingualism and multicultural identities in education. They can dismantle discrimination and contribute to the immigrated children’s educational success.



Seit Sommer 2015 dominiert die sogenannte „Flüchtlingsdebatte“ die Medienberichterstattung und den politischen Diskurs in Deutschland. Fragen zur langfristigen Gestaltung von Integration werden dabei häufig damit gekontert, dass Geflüchtete zunächst eine Bringschuld hätten, sich an die in Deutschland geltenden Regeln und Normen anzupassen.1 Migrationsforscher_innen kritisieren ein derartiges Verständnis von Integration nicht nur, weil es eine einseitige Assimilation vorsieht, sondern auch weil es die Komplexität und Vielfalt der Identitäten, Lebensweisen und Einstellungen in einem seit langem von Einwanderung geprägten Land ignoriert (Radtke 2013, Foroutan 2015).2 Abseits von politischer Polemik verstehen viele Menschen mit und ohne „Migrationshintergrund“3 Integration vielmehr als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dies erkennt auch das jüngst vereinbarte Integrationsgesetz prinzipiell an, das andererseits jedoch Sanktionen vorsieht, wenn Geflüchtete gewissen Integrationsauflagen nicht nachkommen (Greven 2016). Integrationspolitik hat in den nächsten Jahren das wichtige Ziel, Chancen zur gleichberechtigten sozialen, politischen und ökonomischen Teilhabe von Geflüchteten und anderen Neuankommenden in der deutschen Gesellschaft herzustellen. Eine wichtige Rolle dabei spielen Institutionen, allen voran die Schule.
Viele der Menschen, die aktuell nach Deutschland kommen, um Asyl zu beantragen, sind minderjährig. Unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus haben sie nicht nur das Recht eine Schule zu besuchen, sondern sind wie alle anderen jungen Menschen zwischen dem sechsten Lebensjahr und gewöhnlich der Vollendung des 10. Schuljahres schulpflichtig (Weiser 2013). Die Kultusministerkonferenz schätzte im Oktober 2015, dass in den kommenden zwölf Monaten mit der Aufnahme von bundesweit etwa 325.000 Schüler_innen zu rechnen sei (vgl. Bayrischer Rundfunk 2015). Die einzelnen Bundesländer nutzen unterschiedliche Modelle zur Unterrichtung von Geflüchteten sowie zur Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache. Grundsätzlich zu unterscheiden ist die direkte Aufnahme in den Regelunterricht vom Modell der Vorbereitungs- oder Übergangsklassen, die in Berlin den Namen „Willkommensklassen“ tragen (Massumi et al. 2015). Die mediale Rezeption dieser Klassen ist aktuell in der Regel positiv, beispielsweise wird die Einstellung zahlreicher zusätzlicher Lehrkräfte als angemessene und schnelle Reaktion auf die vielen Neuzugänge an den Berliner Schulen bewertet (vgl. Warnecke 2016). Dennoch ist es notwendig genauer zu fragen, was hinter dem vielversprechenden Namen steckt.

Mit diesem Artikel identifiziere und diskutiere ich mehrere Probleme am Berliner Instrument zur schulischen Integration von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache. Dabei adressiere ich verschiedene Ebenen. Zunächst thematisiere ich konkrete Herausforderungen, die Pädagog_innen in der Praxis wahrnehmen. Daraufhin betrachte ich das den Willkommensklassen zugrundeliegende pädagogische Konzept und argumentiere, dass der getrennte Unterricht das Deutschlernen erschweren sowie zur Betonung von Differenzen und zur Reproduktion rassistischer Stereotype beitragen kann. Schließlich weise ich auf Zusammenhänge zu allgemeinen Gestaltungsprinzipien des deutschen Schulsystems und bildungspolitischen Paradigmen hin. Um Ansatzpunkte für Veränderungen aufzuzeigen, skizziere ich im letzten Teil im Rückgriff auf Konzepte aus der interkulturellen Pädagogik einige Empfehlungen, wie Spracherwerb und soziale Teilhabe besser gefördert werden könnten. Mein Beitrag soll damit auch auf die Notwendigkeit der kontinuierlichen Reflexion und daran anknüpfenden Weiterentwicklung von Modellen der schulischen Integration geflüchteter Schüler_innen hinweisen und zu einer umfassenderen Diskussion über notwendigen Wandel der Institution Schule in der Einwanderungsgesellschaft beitragen.

Meine Argumente beziehen sich in erster Linie auf die Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Expert_innen und Schulpersonal zu ihren Erfahrungen mit den Berliner Willkommensklassen, die ich im Frühjahr 2014 durchgeführt habe.4 Die Untersuchung war als explorative Studie angelegt, die bestehende Probleme identifiziert und aufzeigt, an welchen Stellen es weiterer Erklärung oder einer Überarbeitung der politischen Richtlinien bedarf. Ich konzentrierte mich auf Grundschulen, da die nach Sprachkenntnissen separierte Unterrichtung insbesondere bei jüngeren Kindern problematisch erscheint, während sie im Sekundarschulalter und bei fortgeschrittenen fachlichem Niveau besser begründbar ist (Dörnyei 2009). Räumlich war die Erhebung auf Grundschulen im Bezirk Neukölln beschränkt, da es dort zum Untersuchungszeitpunkt eine besonders hohe Zahl an Willkommensklassen gab. Obwohl die Mehrheit der Kinder in den untersuchten Neuköllner Willkommensklassen aus EU-Mitgliedsstaaten zugewandert waren, weshalb sich ihre Situation in einigen Punkten, wie zum Beispiel ihrem rechtlichen Aufenthaltsstatus, von der geflüchteter Kinder unterscheidet, haben die grundsätzlichen Herausforderungen und Kritikpunkte an den Willkommensklassen unabhängig davon Relevanz. Denn nach wie vor handelt es sich bei den Kindern um sehr heterogene Gruppen, deren primäre interne Gemeinsamkeit die geringen Deutschkenntnisse sind. Die qualitativen Daten werden ergänzt und im derzeitigen Kontext verortet durch aktuelle Zahlen zu den Willkommensklassen, eine Analyse der jüngsten Version des ihnen zugrunde liegenden Konzeptes, sowie Informationen, die Medienberichten und den Anfragen von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses an den Berliner Senat zu entnehmen sind.

Das Berliner Konzept der Willkommensklassen
Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (im Folgenden Sen. BJW genannt) beschreibt Willkommensklassen als Lerngruppen, in denen Kinder und Jugendliche unterrichtet werden, “die in einer Regelklasse wegen fehlender Deutschkenntnisse nicht ausreichend gefördert werden können” (Sen. BJW 2015). Sie wurden zum Schuljahr 2011/12 eingerichtet, rechtliche Grundlage dafür bildete eine Ergänzung von §15 des Berliner Schulgesetzes, der den Unterricht für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache regelt (Sen. BJW 2010, 22; SchulG §15 Art. 2). Mit den gestiegenen Zahlen von Geflüchteten in Berlin hat auch die Zahl der Willkommensklassen stark zugenommen. Im April 2016 lernten 10.051 Kinder und Jugendliche in 855 Willkommensklassen (Reinwarth 2016). Fast 200 davon wurden allein zum aktuellen Schulhalbjahr eingerichtet.5
Ziel der nach Sprachkenntnissen separierten Klassen sei es, den “intensiven und systematischen Erwerb der deutschen Sprache als Unterrichtssprache” und somit den “frühstmöglichen Wechsel in eine Regelklasse” zu ermöglichen (Sen. BJW 2015). Mit der Einrichtung der Willkommensklassen veröffentlichte die Senatsverwaltung auch einen „Leitfaden zur schulischen Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen“, der im November 2015 erweitert und aktualisiert wurde. Eine „Lerngruppe für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“ wird demnach jeweils für ein Schuljahr eingerichtet, gesondert von sonstigen Mitteln der Sprachförderung finanziert und hat eine Zumessungsfrequenz von 12 Schüler_innen. Bei der Schulanmeldung eines Kindes „nichtdeutscher Herkunftssprache“ entscheidet die regionale Schulaufsicht anhand von Sprachstand und Alter, ob es am Unterricht in der Regelklasse teilnimmt oder einer Willkommensklasse zugewiesen wird (ebd., 9). Normalerweise werden Schüler_innen ab 8 Jahren in Willkommensklassen unterrichtet, entweder an einer wohnortnahen Grundschule, oder wenn sie bereits älter sind an einer weiterführenden allgemeinbildenden Schule oder einem Oberstufenzentrum (ebd., 14). Die Zuweisung zu einer Willkommensklasse wird als temporär verstanden, weshalb sie bei ihrer Einrichtung auch mit einem „Durchlauferhitzer“ (Sen. BJW 2011, 4) verglichen wurden. Prinzipiell sollen Schüler_innen jederzeit in Regelklassen übergehen können, insofern ihre deutschen Sprachkompetenzen als ausreichend eingeschätzt werden. Daher sind die Lehrkräfte der Willkommensklassen aufgefordert, einen individuellen Förderplan und eine Dokumentation der Sprachstandsentwicklung jeder Schülerin und jedes Schülers zu erstellen (Sen. BJW 2015, 15). Laut der im Leitfaden getroffenen Empfehlungen sollten Schüler_innen für gewöhnlich sechs Monate, und nur in besonderen Fällen über ein Jahr in den Willkommensklassen bleiben.

Diskrepanzen zwischen Unterrichtskonzept und Praxis
Die beschriebenen Regelungen sollen Schulen entlasten, indem ihnen ein einheitliches Konzept zum Umgang mit neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen an die Hand gereicht wird. Zudem lassen sie die Absicht erkennen, den Kindern eine intensive Betreuung mit besonderem Fokus auf der Vermittlung von Deutschkenntnissen zu ermöglichen, damit sie im Anschluss mit besseren Voraussetzungen am Regelunterricht teilnehmen können. Doch aus den Erfahrungen des Schulpersonals ging hervor, dass zwischen den vom Senat getroffenen Vorgaben und der praktischen Gestaltung der Willkommensklassen an den untersuchten Schulen nur eine geringe Kohärenz besteht. Darüber hinaus beließen die Vorgaben verschiedene Aspekte weitestgehend unreglementiert. Deshalb konnten sich teils problematische Praktiken etablieren, beispielsweise waren die Willkommensklassen an manchen Schulen sowohl durch unterschiedliche Pausenzeiten als auch durch die Lage des Klassenzimmers vom restlichen Schulbetrieb isoliert.
In Reaktion auf Kritik von Eltern und Praktiker_innen an derartigen Zuständen wurde der Leitfaden des Senates inzwischen deutlich überarbeitet. So weist die neueste Version darauf hin, dass Willkommens- und Regelklassen innerhalb einer Schule die gleichen Unterrichts- und Pausenzeiten haben sollten (Sen. BJW 2015, 11). Dennoch ist auch die aktuellste Version des Leitfadens nicht frei von Schwierigkeiten und Lücken. Die Kritik meiner Interviewpartner_innen, dass er für etliche Situationen keine Lösung bietet, kann weiterhin geltend gemacht werden. So gibt es beispielsweise wenig Auskunft zur Frage, wie der Übergang in den Regelunterricht gestaltet werden kann. Da die Teilnahme an einer Willkommensklasse Schüler_innen nicht das Recht gibt, im Anschluss an der gleichen Schule oder Schulform zu bleiben (ebd.), ist zu erwarten, dass viele Kinder nach ihrer Eingewöhnung in einer Willkommensklasse erneut die Schule und ihr soziales Umfeld wechseln müssen. Interviewpartner_innen bemängelten zudem, dass es kaum einen Rahmen oder klar ersichtliche Regeln gibt, die Unterrichtsinhalte, Lehrmethoden oder Zieldefinitionen festlegen: "Es [gibt] eigentlich gar kein Konzept, wie man so eine Klasse am besten unterrichtet" (Interview Carina S. vom 28.2.2014). In der Tat gibt es keine Hinweise, wie der Unterricht in den Willkommensklassen konkret gestaltet werden sollte, beispielweise inwiefern neben Sprach- auch Sachkenntnisse vermittelt werden sollten. Stattdessen wird Schulen die Verantwortung übertragen, „geeignete Maßnahmen festzulegen“ für das erfolgreiche Deutschlernen der Schüler_innen „im Rahmen ihres schuleigenen Sprachbildungskonzepts“ (Sen. BJW 2015, 11). Neben einem pädagogischen Konzept fehlt es auch an Hinweisen zur sonstigen Begleitung oder Betreuung der Kinder, von denen viele aufgrund ihrer Fluchtbiografien traumatisiert sind (Kalarickal 2015; Interview Jette O. vom 19.2.2014).
An anderen Stellen wurde der Leitfaden als wenig praktikabel beurteilt, weil die Anforderungen schwer erfüllbar seien. So verlängerte sich die Dauer bis zum Übergang in Regelklassen im Vergleich zu den Vorgaben häufig. Außerdem zeigten die Befragungen und Hospitanzen an Neuköllner Schulen, dass jede Schule ihre eigenen Strategien entwickelt, da ihnen die Kapazitäten fehlten, wie vorgesehen den Lernfortschritt jedes einzelnen Kindes zu dokumentieren. Aufgrund dieser Mängel arbeiteten manche Lehrkräfte jedoch an der Dokumentation ihrer Erfahrungen und Lehrmaterialien, mit der Absicht diese an andere weiter reichen zu können.
Die alltäglichen Herausforderungen an Berliner Schulen sind oft komplizierter als im Konzept erfasst, schon allein da die genauen Zahlen der Neuanmeldungen von geflüchteten Kindern und infolge dessen die Verfügbarkeit von Mitteln von Schulen schwer zu antizipieren sind. Um die schulische Integration geflüchteter Kinder praktisch und nachhaltig zu verbessern, ist es wichtig, diese Diskrepanzen zu benennen und die Ursachen der Probleme, die der Unterrichtspraxis in den Willkommensklassen zugrunde liegen, zu analysieren. Neben den pädagogischen Leitlinien und ihrer Umsetzung, haben die in den Willkommensklassen unterrichtenden Lehrkräfte selbst eine wichtige Rolle inne. Ihre Situation soll daher genauer betrachtet werden.

Einstellungskriterien und Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte

"Aber, ich kann auch nicht gleichzeitig Familienhelfer, Schulhelfer, sonst was sein.“6

Die Zahl der in Willkommensklassen tätigen Lehrer_innen hat sich seit dem vergangenen Schuljahr von ca. 470 auf über 800 erhöht (news4teachers 2016b). Die Anstellung zahlreicher zusätzlicher Pädagog_innen erscheint als angemessene Reaktion auf die gestiegenen Schüler_innenzahlen. Doch darüber hinaus ist es zur Beurteilung der Erfolge und Probleme der Willkommensklassen relevant, wie die Auswahlverfahren, Qualifikationen und Arbeitsbedingungen von Lehrkräften, die in den Willkommensklassen unterrichten, aussehen. Aus den Antworten auf mehrere Anfragen an den Senat von Seiten der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus geht hervor, dass sich bei Neueinstellungen in der Regel die Schulen selbst für eine_n Bewerber_in entscheiden. Dabei gelten entweder ein Lehramtsstudium oder alternativ ein Studium oder Erfahrungen im Bereich Deutsch als Zweitsprache als Einstellungskriterium. Auch bereits an einer Schule beschäftigte Lehrer_innen können bei nicht weiter definierter „entsprechender Qualifikation“ (Berliner Abgeordnetenhaus 2015a) in Willkommensklassen unterrichten. Darüber hinaus blieben die Angaben relativ vage, so gibt es beispielsweise keine Information darüber, wie viele Personen mit „Migrationshintergrund“ oder eigener Fluchterfahrung, die unter Umständen eine besondere Vorbildfunktion einnehmen oder stärkere Sensibilität für Benachteiligungen von zugewanderten Kindern haben können, eingestellt wurden (Berliner Abgeordnetenhaus 2015b).
Die vorliegenden Informationen decken sich in mehrerlei Hinsicht mit dem Bild, das sich in meiner Untersuchung an Neuköllner Grundschulen zeigte. Obwohl das Hauptziel der Willkommensklassen die Vermittlung von Deutschkenntnissen sein soll, verfügte nur eine der interviewten Personen über eine Ausbildung in Deutsch als Fremdsprache, alle anderen Lehrkräfte haben sich dies autodidaktisch angeeignet. Des Weiteren wurden Lehrer_innen häufig in Positionen eingesetzt, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen, zum Beispiel unterrichteten sie in der Schulanfangsphase trotz Ausbildung für die Sekundarstufe II. Die mangelnde formelle Qualifikation bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Lehrkraft ungeeignet ist, stellt sie aber vor besonders hohe Herausforderungen. Hinzu kommt, dass die Lehrer_innen der Willkommensklassen häufig unter prekären Bedingungen angestellt waren. Drei von vier interviewten Lehrkräften arbeiteten mit einem auf ein Jahr begrenzten Vertrag. Selbst wenn dieser verlängert wird, kann die Bezahlung der Sommerferien durch die Befristung entfallen. Wie aus den Anfragen der Grünen hervor geht, hat sich auch diese Praxis noch nicht geändert (Berliner Abgeordnetenhaus 2015c). Die Lehrkräfte bemängelten auch, dass ihr Honorar deutlich unter dem der fest angestellten Kolleg_innen liege.
Da sie zudem nur mit einer geringen Stundenzahl beschäftigt waren, waren sie wenig motiviert, Fortbildungsangebote wahrzunehmen:
„Gibt ja immer sowas wie Deutschkonferenzen, aber [...] bei 'ner Drittelstelle werd’ ich mir jetzt nicht noch Konferenzen reinziehen." (Interview Nils S. vom 13.2.2014)
Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft macht Schulen zwar Beratungsangebote und bietet Fortbildungen an, in denen Sprachbildungskoordinatoren ausgebildet werden. Es ist jedoch fraglich, ob diese Angebote von Lehrkräften, die in Willkommensklassen unterrichten, angenommen werden. Die verfügbaren Zahlen zu den teilnehmenden Schulen und Personen sind nicht differenziert genug um dies zu beurteilen (Sen. BJW 2014).
Aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen und der fehlenden Erfahrungswerte, etablierter Materialien oder Methoden, fühlte sich die Mehrzahl der Lehrkräfte allein gelassen und überfordert, den Bedürfnissen der Schüler_innen gerecht zu werden. Zudem äußerten manche Lehrkräfte Ängste, die sie vor Übernahme einer Willkommensklasse wegen der Sprachbarriere und des defizitgeprägten Bildes, das diesen voraus eilt, hatten. Aus diesen Gründen verglich einer der interviewten Experten das Unterrichten in einer Willkommensklasse mit einer „Strafe“ (Interview Gabriel I. vom 17.1.2014). Eine andere Expertin war sich mit ihm darin einig, dass es den in den Klassen eingesetzten Pädagog_innen nicht nur an Qualifizierung und angemessener Bezahlung mangele, sondern auch an Sensibilisierung und „interkultureller Öffnung“ (Interview Jette O. vom 19.2.2014).7 Doch an dieser Stelle hören die Schwierigkeiten noch nicht auf. Über die konkreten Unterrichtsbedingungen hinausgehend gibt es Gründe, die das pädagogische Konzept der separierten Beschulung neu zugewanderter Kinder in Willkommensklassen an sich in Frage stellen. Das nächste Kapitel wird die Effekte der getrennten Unterrichtung auf die Bildungschancen und die soziale Integration der Schüler_innen in den Willkommensklassen untersuchen.

Erschwerte Bedingungen zum Deutschlernen
Vieles spricht dafür, dass Willkommensklassen das Deutschlernen eher erschweren als beschleunigen. Die Zuteilung zu ihnen basiert auf der Annahme, dass der gemeinsame Unterricht mit anderen Sprachschüler_innen die Kinder gezielt unterstütze. Die Nützlichkeit dieser Praxis ist aus spracherwerbstheoretischer Perspektive zu hinterfragen, denn in der Linguistik gilt es als Konsens, dass eine Sprache leichter zu erlernen ist, wenn eine Person sich in einem Umfeld aufhält, in dem diese Sprache viel verwendet wird, da dies unbewusste und implizite Lernvorgänge begünstigt (z.B. Klann-Delius 1999). Insbesondere junge Kinder sind erfahrungsgemäß in der Lage, die Verkehrssprache durch die Teilnahme am Unterricht und den Umgang mit anderen Kindern schnell zu erlernen (McLaughlin 2012). Theoretisch berücksichtigt der Leitfaden des Senats dies mit der Regelung, dass Kinder unter acht Jahren gemeinsam mit den übrigen Schüler_innen die Schulanfangsphase besuchen sollen. Faktisch sieht die Lage jedoch anders aus, da Schulen in der Nähe von Erst- und Notaufnahmeunterkünften von Geflüchteten von dieser Regel ausgenommen sind. Dies wird damit begründet, dass die Fluktuation von Familien, die nach etwa drei Monaten die Einrichtungen verlassen und innerhalb des Stadtgebietes umziehen den Lernprozess der übrigen Schüler_innen störe (Sen. BJW 2015, 12).
Lehrkräfte der Schulen, an denen Willkommensklassen durch andere Methoden ersetzt wurden – beispielsweise häufigen und niveauspezifischen Deutschunterricht für zugewanderte Schüler_innen bei gleichzeitiger Teilnahme am normalen Unterricht – beobachteten, dass in den Regelklassen besser Deutsch gelernt werde als zuvor (vgl. Interview Valerie B. vom 19.2.2014; Interview Dagmar B. vom 27.2.2014). Sie schilderten, dass deutsch in Gruppen mit einer hohen Konzentration von Schüler_innen mit gemeinsamer Herkunftssprache wenig benötigt und genutzt wurde, während es in stärker durchmischten Klassen eine größere Lernmotivation gebe, weil dort deutsch zur gemeinsamen Verkehrssprache der Kinder wird. Es liegen keine Daten vor zur sprachlichen Komposition der Berliner Willkommensklassen. Aber da momentan die überwiegende Mehrheit der Personen, die in Deutschland Asyl beantragen und auch Chancen auf ein längerfristiges Bleiberecht haben, aus den Herkunftsländern Syrien und Irak kommen (BAMF 2016), liegt es nahe, dass es Willkommensklassen gibt, in denen die Mehrheit arabisch spricht. Zwar kann in einer Gruppe mit gemeinsamer Herkunftssprache sehr produktives „dual language learning“ stattfinden, wobei sowohl Erst- und Zweitsprache genutzt werden und einander stärken (Garcia/Markos 2015). Doch dafür müssten gezielt arabischsprachige Lehrer_innen eingestellt und Klassen entsprechend zusammengestellt werden, was momentan nicht der Fall ist. Das aktuelle Konzept fokussiert ausschließlich das Deutschlernen und bezieht sich in keiner Weise auf die Herkunftssprache.
Ein weiteres Problem wurde darin gesehen, dass die Einteilung von Lerngruppen anhand des Differenzkriteriums „nichtdeutsche Herkunftssprache” kein Garant für eine homogene Schüler_innenschaft mit vergleichbaren Förderbedürfnissen sei. Im Gegenteil, die Lehrkräfte mehrerer Schulen hoben hervor, dass die Kinder in ihrer Klasse sich hinsichtlich ihrer „Sprache, Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten” (Interview Nils S. vom 13.2.2014), sowie ihres Verhaltens und Alters stark unterscheiden. Bei geflüchteten Kindern kommen außerdem die individuell sehr unterschiedlichen Erfahrungen von Krieg, Flucht und Neuanfang hinzu (Interview Jette O. vom 19.2.2014).

Soziale Exklusion und Stigmatisierung der Willkommensklassen

„ ,Ach, ihr seid diese Speziellen, die kein Deutsch können.’“ 8

Alle befragten Lehrkräfte waren sich einig, dass ein weiteres Problem der Willkommensklassen darin besteht, dass die getrennte Unterrichtung der neu zugewanderten Schüler_innen die Kontaktaufnahme mit Mitschüler_innen, die in Deutschland aufgewachsenen sind oder bereits seit längerem hier leben, erschwert. Sie beschrieben wie die Separierung sich auch außerhalb des Unterrichts fortsetzt, beispielsweise indem die Kinder in der Hofpause stets unter sich blieben. Doch über den erschwerten sozialen Kontakt hinausgehend ging aus den Interviews auch hervor, dass die Kinder in der Willkommensklasse stets als ‚Andere’ wahrgenommen werden. Resultat der gegenseitigen Unkenntnis waren ablehnende Haltungen und Vorurteile, die Schüler_innen der Regelklassen sowie auch deren Eltern und das Lehrpersonal der Grundschulen den Kindern in den gesonderten Lerngruppen gegenüber demonstrierten. Hormel & Scherr erklären, dass die Konstitution sozialer und „ethnischer“9 Differenzierungen im Schulalltag sich vielfach mit „hoch problematischen, ideologisch konturierten Annahmen über vermeintliche soziale, kulturelle oder religiöse Besonderheiten“ verbindet (2009, 46).
Die Lehrkräfte und Sozialarbeiter_innen beschrieben mehrere Situationen, in denen Schüler_innen sich über die Kinder der Willkommensklassen lustig machten oder es gar zu Konflikten kam, die auf „ethnischen“ Stereotypisierungen und Abgrenzungen fußten. Da an den Neuköllner Schulen die überwiegende Mehrheit der Kinder einen „Migrationshintergrund” hat, nahmen die Lehrkräfte eine Hierarchie wahr, in der die zuletzt angekommenen Kinder die unterste Position einnehmen. Die Erfahrung an den Schulen, an denen die Willkommensklassen abgeschafft wurden, weisen darauf hin, dass die Ausgrenzungen und Konflikte besonders extrem waren, solange die Kinder separiert unterrichtet wurden. Während eine Sozialarbeiterin „Bandenprozesse“ auf dem Schulhof schilderte, die weniger geworden seien, nachdem es die Willkommensklasse nicht mehr gab, beschrieb eine Lehrerin, dass die Integration in Regelklassen rassistische Ressentiments reduziere:
„Die sind jetzt in den Regelklassen. [...] Und drei dieser Roma-Kinder sind da mit drin, sie kriegen manches noch ein bisschen später mit, aber es bringt so eine Normalität. [...] Und es ist dann auch plötzlich ganz egal, da wird keiner mehr sagen, 'das ist der David aus Rumänien'.“ (Interview Kisten H. vom 27.2.2014)
Als eine Ursache für die Konflikte unter den Schüler_innen benannten die Interviewpartner_innen ablehnende bis feindselige Haltungen von Eltern gegenüber neuen Zuwanderern. Diese Vorurteile gäben sie an ihre Kinder weiter. Doch darüber hinaus beobachteten alle interviewten Lehrkräfte auch in ihren eigenen Kollegien Vorbehalte. So würde den Kindern als Gruppe zugeschrieben, schwächer und schwieriger um Umgang zu sein als die Norm. Wie bereits erwähnt, wurde das Unterrichten der Willkommensklasse generell als eine Aufgabe charakterisiert, vor der viele Lehrer_innen sich scheuen.
„Unsere Klasse wird immer so ein bisschen na, exotisch weiß ich nicht, aber, ich hab öfter zu hören gekriegt, 'Ach ihr Armen, mit diesen (..) Kindern, die noch nichts kennen, noch nichts können, oder nicht viel', und so 'DAS wäre mir ja zu viel.'“ (Interview Nils S. vom 13.2.2014)
Aufgrund der Unkenntnis und Vorurteile forderte eine Lehrerin vermehrte anti-rassistische Fortbildung des Lehrerkollegiums und eine stärkeren Fokussierung von Toleranz im Unterricht. Sie betonte, dass dafür jedoch ein größerer Wille der Schule und der Lehrkräfte nötig sei. Diese Forderung impliziert damit nicht nur einen Bedarf von finanziellen und zeitlichen Ressourcen, sondern auch von Bereitschaft zur Selbstkritik in Schulkollegien.
Die erschwerten Bedingungen zum Deutschlernen und der sozialen Integration in das Schulleben werfen Zweifel am grundsätzlichen pädagogischen Konzept der Willkommensklassen auf. Darum liegt die Annahme nahe, dass sie eher der organisatorischen Erleichterung des Schullalltags dienen. Dafür spricht auch der Blick auf grundlegende Gestaltungsprinzipien des deutschen Schulsystems und ihren Zusammenhang mit struktureller Diskriminierung.

Der monokulturell-monolinguale Habitus des deutschen Schulsystems
Die anhaltende Bildungsbenachteiligung von Personen mit „Migrationshintergrund“ in Deutschland ist seit dem Erscheinen der ersten PISA-Studie ausführlich dokumentiert und kommentiert worden. Bildungsforscher_innen kritisieren beispielsweise die frühe Separation von Schüler_innen anhand von durch Lehrkräften getroffenen Schullaufbahnempfehlungen (Britz 2007; Baumert/Stanat/Watermann 2006; Baur 2010). Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass diese und andere institutionelle Praktiken Kinder aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Herkunft und „Ethnizität“ systematisch benachteiligen (Gomolla/Radtke 2007). Mechthild Gomolla argumentiert, dass Homogenität ein wirkmächtiges „Strukturprinzip“ (Gomolla 2009) des deutschen Schulsystems ist, was sich insbesondere in seiner Mehrgliedrigkeit und der frühen Leistungsselektion manifestiert. Heterogenität hingegen werde innerhalb dieser Strukturen generell als Problem wahrgenommen. In den Willkommensklassen spiegelt sich diese Idee wieder: Mit der Separation nach Sprachkenntnissen wird der Versuch unternommen, homogene Lerngruppen zu erschaffen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den von den Lehrkräften wahrgenommenen „Binnendifferenzen“ der Kinder. Hier zeigt sich, dass Sprache als Differenzkriterium andere Faktoren wie schulische Vorerfahrungen und spezifische Bedürfnisse der Schüler_innen außer Acht lässt.
Vor diesem Hintergrund werden auch die Schwierigkeiten der Lehrkräfte, mit den unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten der Kinder in den Willkommensklassen umzugehen, verständlich. Die Mehrheit deutscher Lehrkräfte ist an homogene Lerngruppen gewöhnt und nicht ausreichend auf den Umgang mit Differenz vorbereitet. Nicht nur sind Migrant_innen in Lehrberufen weiterhin unterrepräsentiert, auch die Darstellung von Lehrinhalten in Schulbüchern sind überwiegend „westlich-weiß“ (Tajmel 2009, 144) konnotiert. Aufgrund dieser monokulturellen Prägung haben Lehrkräfte häufig „Normalitätsannahmen“ (Hormel/Scherr 2009, 49), die nicht der Realität der Einwanderungsgesellschaft entsprechen. Mehrsprachigkeit, multikulturelle Identitäten und andere Kompetenzen zugewanderter Schüler_innen bleiben daher unbeachtet oder werden als „bildungsbenachteiligende Eigenschaften“ (Stojanov 2010, 89) begriffen.
Darüber hinaus muss die Konzeption der Willkommensklassen auch im Zusammenhang mit dem diskursiv einflussreichen Verständnis von Integration als Assimilation gesehen werden. Erklärtes Ziel der Willkommensklassen ist das Aufholen von Kompetenzen, insbesondere Sprachkenntnissen. Dem liegt ein „kompensatorisches Konzept“ (Schründer-Lenzen 2009, 129) von Integration als Anpassungserwartung an die Zuwanderer zugrunde, in dem Sprachlernfortschritt als Indikator für gelingende Integration gilt. Im weiteren Sinn handelt es sich dabei um eine Anpassung der Kinder an die im deutschen Schulsystem geltenden Werte und Verhaltensnormen.
Die mangelnde Kompetenz von Schulpersonal für Diversität sowie die Dominanz eines assimilativen Integrationskonzeptes zeigen sich auch in der geringen schulischen Anerkennung für die Herkunftssprache der zugewanderten Kinder. Es gibt zahlreiche Hinweise, insbesondere aus der Unterrichtspraxis in anderen Ländern, dass die Förderung der Erstsprache „positive Transfereffekte“ (Dirim u.a. 2009, 12) für das Erlernen der Zweitsprache mit sich bringt. Außerdem gilt die schulische Anerkennung des Wertes der Herkunftssprache und der multilingualen gesellschaftlichen Realität als ausschlaggebend für den Schulerfolg von Migrant_innen (vgl. Gogolin/Neumann/Roth 2003). Obwohl auch die Kultusministerkonferenz bereits 1996 anerkannte, dass „die Muttersprachenkompetenz in erheblichem Maße zur Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung bei[trägt]“ (Kultusministerkonferenz 1996), ist in Deutschland die Tendenz, die Herkunftssprache aus dem Unterricht und möglichst auch vom Schulhof fern zu halten, stärker ausgeprägt. Damit hält das Konzept der Willkommensklassen am von Gogolin postulierten „monolingualen Habitus“ (1994) des deutschen Schulsystems fest.

Die Kontinuität von „ethnischer“ Segregation in Berliner Schulen
Die Vorstellung, dass diverse Lerngruppen ein Problem seien, manifestiert sich nicht nur auf der institutionellen Ebene, sondern ist auch diskursiv einflussreich. Das zeigt sich in Prozessen sozialer und „ethnischer” Segregation in der Berliner Schullandschaft, die vielfach dokumentiert und untersucht wurden (zur Nieden/Karakayali 2015; Baur 2012; Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2012). Auch die Willkommensklassen können als Fortsetzung einer Tradition „ethnisch” segregierten Unterrichts in Berlin verstanden werden. Diese ist jedoch anders als oft angenommen nicht nur Resultat von elterlichem Schulwahlverhalten, sondern bereits seit Jahrzehnten auch bildungspolitisch gesteuert (Baur 2012, Karakayali/zur Nieden 2013). Der getrennte Unterricht in den Willkommensklassen wird anhand der Einteilung von Schüler_innen in die Gruppen „deutschsprachig“ und „nichtdeutsche Herkunftssprache“ legitimiert. Diese Kategorisierung ist zwar nicht identisch mit einer Trennung nach Kriterien „ethnischer“ Gruppenzugehörigkeit, kommt ihr aber doch sehr nahe. Karakayali/zur Nieden (2013) zeigen, dass schon in den 1960ern in Stadtteilen mit hohen Anteilen von Migrant_innen an der Bevölkerung sogenannte „Ausländerklassen“ eingerichtet wurden. Sie wurden legitimiert durch die Befürchtung, dass ein „zu hoher” Anteil “ausländischer Kinder” in Regelklassen negative Auswirkungen auf Unterricht und Bildungserfolge habe (ebd.). Erst 1995, nachdem migrantische Vereine die schulische Segregation der Kinder scharf kritisiert hatten, wurden die „Ausländerklassen” durch eine Änderung des Berliner Schulgesetzes formell abgeschafft (Engin 2003, zitiert nach ebd.). In diesem historischen Kontext lässt sich argumentieren, dass in den Willkommensklassen das Kriterium der Sprachkenntnisse die Segregation anhand der Kriterien „Ethnizität“ oder Nationalität ersetzt, da letztere nicht mit geltenden Antidiskriminierungsvorgaben vereinbar10 und argumentativ kaum begründbar wären. Doch unabhängig von der Frage, ob die schulische Trennung mehrheitlich geflüchteter Kinder von mehrheitlich deutschen Kindern intendiert ist oder nicht, hat die Separierung reale soziale Folgen.

Schlussbemerkungen

Das Land Berlin ist sichtlich bemüht, dem gestiegenen Bedarf an Schulplätzen gerecht zu werden und allen geflüchteten Kindern und Jugendlichen einen schnellen Einstieg ins Schulsystem zu ermöglichen. Die schnelle und unkomplizierte Anstellung vieler neuer Lehrkräfte und die Einrichtung von mehreren hundert Klassen in den letzten Monaten zeugen von diesen Bemühungen. Doch die Aufnahme geflüchteter Kinder in Berliner Schulen sollte nicht vorschnell als Integrationserfolg proklamiert werden. Da der Schulbesuch laut UN-Kinderrechtskonvention ein Grundrecht aller Kinder ist, sollte dies vielmehr eine Selbstverständlichkeit sein (OHCHR 1990).
Um ihrem Namen gerecht zu werden, müssten die Berliner Willkommensklassen zugewanderten Kindern zu Chancengleichheit verhelfen. Die Erfahrungen und Bewertungen der im Rahmen meiner explorativen Studie interviewten Lehrkräfte, Sozialarbeiter_innen und Expert_innen zeigten jedoch, dass die getrennten Lerngruppen unter den aktuellen Gegebenheiten in mehrerlei Hinsicht ihre Zielsetzungen verfehlen. Anders als die Rahmenkonzeption vorsieht (vgl. Sen. BJW 2015), variierten die Sprachvermittlungskonzepte und Qualifikationen der Lehrkräfte von Schule zu Schule. Die primäre Gemeinsamkeit, die zwischen den Willkommensklassen zu bestehen schien, war die Akkumulation hinderlicher Einflüsse auf die Lernumgebung der Kinder. Das Erlernen der deutschen Sprache war durch die Abwesenheit von Muttersprachler_innen erschwert. Außerdem waren einzelne Lehrkräfte wegen schlechter Arbeitsbedingungen demotiviert sowie unzureichend vorbereitet und qualifiziert für das Unterrichten in den Willkommensklassen. Darüber hinaus ließ sich erkennen, dass die Separation der neu zugewanderten Schüler_innen nicht nur den Kontakt zu anderen Kindern sowie die Partizipation am Schulleben erschwert, sondern rassistische Ausschlüsse begünstigen kann. Andere Kinder, Eltern und Lehrkräfte nahmen die Kinder aufgrund des Sonderstatus der Klasse innerhalb der Schule als eine einheitliche Gruppe wahr, der sie negative Eigenschaften zuschrieben.
Die Hindernisse, die im Hinblick auf das Deutschlernen und die soziale Integration von Kindern und Jugendlichen bestehen, sind besonders alarmierend, weil der Übergang von der Willkommensklasse in den regulären Schulunterricht nicht immer so schnell und reibungslos verlief wie angedacht. Doch ob die Trennung temporär oder längerfristig ist, die defizitorientierte Perspektive auf die gesonderten Lerngruppen, die ‚Nichtkönnen’ und aufzuholende Kompetenzen betont, birgt die Gefahr, den Kindern einen dauerhaften Stempel als Außenseiter aufzudrücken. Damit können sie eher zur Verstärkung als zum Abbau von Ungleichheiten für den Bildungserfolg der Kinder beitragen.

Die aufgezeigten Probleme scheinen jedoch nicht nur das Resultat gut gemeinter, aber schlecht umgesetzter Richtlinien zu sein. Radtke argumentiert, dass durch eine rein pädagogisierende Debatte über Bildungsungleichheit „die Regierungskunst zur Erziehungskunst gedrosselt wird“ (2013, 15). Daher müssen die Schwierigkeiten der Willkommensklassen auch im Kontext der im deutschen Schulsystem dominanten Werte und Prinzipien verstanden werden. Die Kinder von Migrant_innen und Geflüchteten, die momentan an Berliner Schulen neu angemeldet werden, sind nicht die ersten, deren Erfahrungen, kulturelles Wissen und Sprachkenntnisse nicht als Ressourcen, sondern als Integrationshindernisse gesehen werden. Schon seit Generationen stellen die Homogenisierungs- und Selektionsmechanismen des deutschen Bildungssystems eine Hürde für Kinder mit „Migrationshintergrund“ dar, die sich häufig überschneiden mit der Benachteiligung von Kindern nichtakademischer Eltern. Kritik an Verfehlungen einzelner Lehrkräfte oder Schulen kommt daher ebenso zu kurz wie eine Sichtweise, welche die Kinder selbst zur Ursache der Probleme erklärt, denn beide Erklärungen blenden das zugrunde liegende gesellschaftliche und institutionelle Gefüge aus.

Aus meinen empirischen Beobachtungen und theoretischen Überlegungen ergeben sich mehrere Anregungen. Solange die ethno-linguistisch segregierten Willkommensklassen bestehen, ist es essentiell, dass sie den Spracherwerb und die soziale Inklusion nicht behindern. Deshalb brauchen Schulen gut qualifiziertes Personal sowie Lehrmaterial, das die Bedürfnisse von Deutschlernenden mit Arabischkenntnissen besonders berücksichtigt. So sollte einerseits viel Kontakt zur deutschen Sprache ermöglicht, und andererseits die Herkunftssprache der Schüler_innen wertgeschätzt und in den Unterricht eingebunden werden. Den Lehrkräften, die in Willkommensklassen unterrichten, sollten pädagogische Begleitung und Vorbereitung für das Unterrichten von Deutsch als Zweitsprache angeboten werden. Damit sie Gelegenheiten zur Fortbildung und Vernetzung mit anderen wahrnehmen können, bedarf es angemessener Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus wäre eine stärkere Sensibilisierung des gesamten Schulpersonals für Diversität und den Umgang mit Rassismus wichtig. Aufgrund all dessen spricht viel dafür, dass insbesondere im Grundschulalter die schulische Integration besser gelingt, wenn Kinder unmittelbar in die Regelklassen gehen und sie zusätzlich regelmäßige und niveaugerechte Sprachförderung erhalten. Erfahrungen aus öffentlichen Schulen in den USA könnten sinnvolle Anregungen für die Konkretisierung solcher Forderungen sowie für weitergehende Forschung geben. Dort werden seit Jahnzehnten verschiedenste Modelle des Spracherwerbs erprobt und progressive Konzepte entwickelt, die mit dem Dualismus von Mutter- und Nichtmuttersprache brechen (z.B. Garcia/Wei 2014).
Doch auch über Fragen der Sprachvermittlung hinaus muss ein politisches Umdenken stattfinden, damit strukturelle Diskriminierungen an Schulen abgebaut werden. Diversität und Mehrsprachigkeit müssten an Schulen stärker normalisiert werden. Beispielsweise sollten größere Bemühungen unternommen werden, damit Lehrpläne, Unterrichtsmaterialien und die personelle Zusammensetzung von Schulkollegien stärker den multikulturellen Identitäten und mehrsprachlichen Repertoires ihrer Schüler_innen entsprechen.
Es gibt bereits progressive Entwicklungen, die, wie die interviewten Lehrkräfte berichteten, teils von unten aus der Unterrichtspraxis an Schulen hervor gehen. Andernorts finden sie auch auf institutioneller Ebene statt, beispielsweise hat der Kreis Unna die Praxis der „Integration von der ersten Unterrichtsstunde an“ (news4teachers 2016a) bereits 2012 unter dem Namen „Go-in-Schulen“ konzeptualisiert (RAA Kreis Unna 2012). Der demographische Wandel der Schulen hat außerdem auch intendierte sowie nichtintendierte Folgen, die das Schulsystem langfristig verändern könnten. So führt der abrupt gestiegene Bedarf von Lehrer_innen für Deutsch als Zweitsprache dazu, dass in den letzten Jahren mehr Bewerber_innen mit „Migrationshintergrund“, an den Berliner Schulen angestellt wurden (Berliner Abgeordnetenhaus 2015b). Derartige Veränderungen sind ein wichtiger Schritt für eine Angleichung der Schulen an die Realität der Einwanderungsgesellschaft. Momentan sind schnelle und pragmatische Reaktionen auf die steigenden Zahlen neuer Schüler_innen wichtig. Doch um eine Institutionalisierung der problematischen Aspekte der Willkommensklassen zu vermeiden, bedarf es kontinuierlicher Reflexion, Weiterentwicklung und Investitionen, unter anderem in die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften.

Anmerkungen::
1.              Beispielsweise forderte Thomas de Maizière jüngst härtere Strafen für sogenannte „Integrationsverweigerer” (taz vom 28.3.2016: http://taz.de/De-Maizi%C3%A8re-fordert-haertere-Strafen/!5286989/, aufgerufen am 12.4.2016).
2.              Derartige Aussagen basieren auf der Annahme eines vermeintlich homogenen nationalen Wertekanons, der sich grundsätzlich unterscheidet von den Wertvorstellungen von Migrant_innen (Foroutan 2015).
3.              Fereidooni und Zeoli betonen, dass der Begriff „Migrationshintergrund“ Homogenität suggeriert und somit Verallgemeinerungen bewirkt, die eine „Andersartigkeit“ von Schüler_innen mit „Migrationshintergrund“ gegenüber den deutschen Schüler_innen konstruiert (2016). Da sich der Ausdruck jedoch im Bildungsdiskurs durchgesetzt hat und in Ermangelung einer Alternative verwende ich ihn.
4.              Mithilfe von leitfadengestützten Interviews befragte ich fünf Lehrkräfte und Sozialarbeiter_innen von Neuköllner Grundschulen, die eng mit jüngst zugewanderten Kindern zusammen arbeiteten, zu ihren Erfahrungen und Bewertungen des Unterrichtsmodells. Des Weiteren interviewte ich mehrere Expert_innen: Einen Mitarbeiter der Roma-Selbstorganisation Amaro Foro e.V., der dank seiner sozialarbeiterischen Tätigkeit an Schulen im Bezirk über besondere Expertise zu dem Thema verfügt, eine Schulrätin des Bezirkes, sowie eine Lehrerin, die schulübergreifende Vernetzung und Austausch von Lehrkräften zum Thema organisiert. Alle Interviews wurden transkribiert und in Anlehnung an die strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet (Mayring 2010; Flick 2007). Die Namen aller Interviewpartner_innen wurden anonymisiert.
5.              Die Auskünfte erhielt ich per E-Mail-Anfrage an die Stelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft.
6.              Interview Nils S. vom 13.2.2014.
7.              Trotz aller Schwierigkeiten und der von den Expert_innen wahrgenommenen Fehlbesetzungen ist jedoch zu betonen, dass die interviewten Lehrkräfte einen sehr engagierten Eindruck machten, die sich teilweise in ihrer Freizeit mit den Lehrer_innen anderer Willkommensklassen vernetzten.
8.              Indirektes Zitat aus dem Interview mit Valerie B. vom 19.2.2014.
9.              Ich verstehe „Ethnizität“ nicht biologisch-essentialistisch, sondern als sozial konstruiertes - jedoch sehr wirkmächtiges – Identitätskonzept (Hall 1994).
10.            Vgl. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: http://www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html, aufgerufen am 30.3.2016.

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Bitte diesen Beitrag wie folgt zitieren: Hannah Göppert (2016): Herzlich Unwillkommen? Eine Kritik am Berliner Konzept zur schulischen Integration geflüchteter Kinder. In: Gökce Yurdakul, Regina Römhild, Anja Schwanhäußer, Birgit zur Nieden, Aleksandra Lakic (Hg.): E-Book Project of Humboldt-University Students: Witnessing the Transition: Refugees, Asylum-Seekers and Migrants in Transnational Perspective. Preview (Weblog), https://www.blogger.com/blogger.g?blogID=863130166696833325#editor/target=post;postID=3697950972162993466;onPublishedMenu=allposts;onClosedMenu=allposts;postNum=0;src=link