Donnerstag, 2. Juni 2016

Hand in Hand in die postmigrantische Arbeitsgesellschaft? Aushandlungen um Arbeit für Geflüchtete im Spiegel handwerklicher Kleinbetriebe zwischen Leistung und Inklusion


Mit dem letzten Sommer - dem “langen Sommer der Migration” (Ataç et al. 2015; Kasparek/Speer 2015) - hat eine enorme Anzahl an Menschen das europäische Grenzregime über die sogenannte ‘Balkanroute’ überwunden. Sie stehen dabei in einer Kontinuität der selbstständigen und letztendlich unkontrollierbaren Migration nach Europa. Mit ihrer Ankunft auf europäischem Territorium haben sie weitreichende politische wie gesellschaftliche Reaktionen hervorgerufen, soziale Aushandlungsprozesse angestoßen und rechtliche Fragen aufgeworfen. In polarisierten Diskursen, die sich um Abschottung und Humanität bewegen und zwischen Rechtsruck und Willkommenskultur oszillieren, zeigt sich, dass Migration ein eklatanter Bestandteil einer Gesellschaft im Werden ist, die sich anhand der daran anschließenden Herausforderungen immer wieder aufs Neue austariert.
Ein zentrales Feld der gegenwärtigen Auseinandersetzung hinsichtlich des Umgangs mit geflüchteten Menschen stellt die Diskussion um den Arbeitsmarktzugang dar. Während in Teilen der Gesellschaft in der Sorge über die 'Einwanderung in die sozialen Systeme' stigmatisierende und teils rassistische Reflexe reaktiviert werden, wird seitens Politik und Wirtschaft weitestgehend die Position eingenommen, den Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete zu erleichtern. Dieser Aufsatz hat zum Ziel, Perspektiven im Diskurs um den Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete aufzuzeigen, die verstärkt für eine Erleichterung argumentieren. Ausgehend von unseren unmittelbaren Beobachtungen einer als „Ausnahmezustand“ deklarierten gesellschaftlichen Situation wollen wir das Kräftefeld sich verschiebender Diskurse anhand von ethnografischen Einblicken und Interviews in handwerklichen Kleinbetrieben beleuchten und anhand eines Fokus auf empirische Ausschnitte analysieren.
Wir beobachten im momentanen Diskurs einen Aushandlungsprozess einer postmigrantischen Gesellschaft, in der sich die Migration mit ihrer dynamischen Präsenz in gesellschaftliche Prozesse einschreibt und als konstitutiver Faktor unterschiedlichste Reaktionen hervorruft. Die Debatte um den Arbeitsmarktzugang steht darin für eine dem wirtschaftlichen Verwertungszusammenhang folgende „differentielle Inklusion“ (Mezzadra/Neilson 2013) migrantischer Subjektivitäten in einer postfordistischen Arbeitswelt.

Der konstitutive Faktor des Postmigrantischen
Der Begriff des „Postmigrantischen“ (Foroutan et al. 2014; Yildiz/Hill 2015)[1], der aus der Kulturproduktion kommt und zunehmend in den Kultur- und Sozialwissenschaften Einzug erhält, meint die Realität einer Gesellschaft, in der der konstitutive Faktor der Migration schon längst eine Tatsache geworden ist. An ihm vollziehen sich stetige Auseinandersetzungen, in denen „konkurrierende Normen und Werte ausgehandelt werden“ (Foroutan et al. 2014, 36). Eine postmigrantische Gesellschaft repräsentiert demnach
„eine Wirklichkeit der europäischen Gesellschaften, die auch noch lange nach der individuellen Ankunft von Migranten in politischer, kultureller und identitärer Bewegung bleiben“ (Römhild 2015).
Die Omnipräsenz der Migration und das vehemente Einschreiben von Migrant_innen fungiert als wirkmächtiges Moment in allen gesellschaftlichen Bereichen und kreiert somit im Zuge einer historischen Normalisierung ein sich kontinuierlich wandelndes Gesellschaftsverständnis, das über prozesshafte Verhandlungen von Zugehörigkeiten, Teilhabe, Normen und Werten geformt wird. Der gelebte Alltag und die gesellschaftlichen Lebenswelten sind dadurch bereits zutiefst heterogenisiert und pluralisiert. Die Migration wird zum „gesellschaftsstrukturierenden Metanarrativ“ (Foroutan et al. 2015, 14), das die gesellschaftlichen Lebensbereiche als Verflechtungsgeschichte jenseits nationaler und kultureller Containervorstellungen neu ordnet.
Dies verläuft aber keineswegs nur affirmativ. Die Konzeption der postmigrantischen Gesellschaft begreift die Anerkennung von Diversität und Transformation als ein stark konfliktives Feld, in dem reagierende Diskurse um Migration und dessen Auswirkungen ausgetragen werden:
„Minderheitenrechte und -positionen werden ausgehandelt sowie die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Identität und Zugehörigkeiten neu gestellt. Dementsprechend sind postmigrantische Gesellschaften auch von einem Konflikt zwischen MigrationsbefürworterInnen und -gegnerInnen geprägt“ (Foroutan et al. 2014, 16).
Die postmigrantische Perspektive legt dabei insbesondere gesamtgesellschaftliche Konfliktlinien und -dynamiken offen, da diese sich in den Auseinandersetzungen um Migration abzeichnen. Soziale und politische Transformationsprozesse, Brüche und Identitäten werden dadurch sicht- und analysierbar, beispielsweise in der Einforderung ebenbürtiger Rechte durch Migrant_innen. Somit ermöglichen vor allem „Verteilungskonflikte als zentraler Motor die postmigrantische Gesellschaft zu charakterisieren“ (Foroutan et al. 2015, 16; Herv. i. Orig.), in der die Migration zugleich als Quelle, Katalysator und Projektionsfläche fungiert. Dies wird insbesondere in der hier behandelten Frage um den Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete deutlich, da Arbeit und der Zugang dazu als Reproduktionsmoment gesellschaftlichen Reichtums den Inbegriff sozialer Auseinandersetzungen impliziert.

Vom Wert und Wandel der Arbeit
Die Sozialverhältnisse moderner Gesellschaften resultieren im Wesentlichen aus der Organisation der Arbeit, ihre Vergesellschaftungsprozesse sind insbesondere auf die Generierung und Inwertsetzung von Arbeitskraft gerichtet (Geisen 2012). Die Einweisung von Arbeitskraft in qualifikatorische Subbereiche des Tätigseins, ihre soziale Passung und immer mehr auch ihre grundlegende Fähigkeit zur Transformation und Adaption neuer Produktionsmuster sind dabei die zentralen Ressourcen der Reproduktion (vgl. Jessop 2007; Castel 2000). Aufgrund dieser Ressourcenqualität kommt der Erwerbsarbeit der Stellenwert einer zentralen konstituierenden Größe des Alltaglebens der Menschen zu. Während Alltag einerseits den Ort materieller Reproduktion identifiziert, werden dort andererseits ‘objektive’ Arbeitsverhältnisse, an milieu- und lebensstilspezifischen Sinngebungen orientiert, subjektiv reflektiert und in Sinnzusammenhänge einsortiert.
„Gerade in Bezug auf Statuskonsistenz und soziale Anerkennung werden Beschäftigungsverhältnisse auf persönliche Angemessenheit und identifikatorische Qualität vermessen“ (Seifert 2009, 44).
Der allgemeine Wandel der gesellschaftlichen Arbeit gehört zum common ground sozialwissenschaftlicher Arbeitsforschung und wird dort vor allem als paradigmatischer Übergang vom fordistischen zum postfordistischen Produktionsregime diskutiert (vgl. u.a. Schönberger 2007; Seifert 2004a). Konstatiert wird, dass Arbeit in diesem Prozess in der Tendenz „räumlich flexibel, scheinbar unregulierter und selbstverantwortlicher, jedoch auch psychophysisch belastender und unsicherer“ (Seifert 2004b, 334) wird. Die zunehmende Flexibilisierung, Prekarisierung und Subjektivierung, welche in der sozialwissenschaftlichen Arbeitsforschung mit dem Konzept der Entgrenzung[2] diskutiert werden, kennzeichnen nicht allein die Produktion, sondern auch neue Formen der Sozialität. Erwerbsverhältnisse entsprechen dabei immer seltener dem herkömmlichen, sozialpolitisch regulierten Normalarbeitsverhältnis (tarifrechtliche Gehälter, Kündigungsschutz, Kranken- und Urlaubsgeld, feste Arbeitszeiten). Seit den 1980er Jahren entsteht eine relativ breite Zone der Prekarität, verstanden als sozialstruktureller Zwischenraum zwischen gesellschaftlicher Exklusion und Inklusion, welche begrifflich Beschäftigungsverhältnisse mit hohem Unsicherheitspotential, wie Teilzeitarbeit, Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung und so weiter, bündelt (Dörre 2010). Der Wandel der Erwerbssphäre geht dabei auf makrostrukturelle Prozesse wie Rationalisierung, Tertiärisierung, Verlagerung der Produktionsstandorte im globalem Maßstab und nicht zuletzt die forcierte Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch staatliche Politiken zurück. Die Gegenmaßnahme der Ideologisierung von Kreativität (Althans et al. 2008) als individuelles Selbstverhältnis kann dabei allerdings nicht verhindern, dass die moderne Arbeitsgesellschaft nicht mehr ausreichend existenzsicherende Erwerbsarbeit hervorbringt.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete – Kontinuitäten und Aufholbewegung
Während Geflüchtete sich diesem, in seinen zentralen Modifikationen grob skizzierten, Erwerbsfeld gegenübersehen, ist es zunächst seine rechtliche Beschaffenheit, die die Möglichkeit ihrer erfolgreichen Positionierung in der Arbeitssphäre strukturell limitiert. Die heute bestehenden Restriktionen wurzeln letztlich in der konservativen Arbeitsmarktpolitik der westeuropäischen Industrieländer, die im Zuge der Arbeitsmigration aus ehemaligen Kolonialgebieten und peripheren Wirtschaftsregionen des Mittelmeerraumes seit den 1960er-Jahren zu "Einwanderungsländern wider Willen" (Bade 1983, 67) wurden (Berlinghoff, 932). Eine nennenswerte 'Abkehr von der Abwehr' der umfassenden Anerkennung – und das meint hier insbesondere hinsichtlich ihrer arbeitsmarktlichen Partizipationsmöglichkeiten – von in Deutschland lebenden Arbeitskräften aus dem Ausland ergab sich erst mit der partiellen Einführung des jus soli, dem neuen Staatangehörigkeitsgesetz im Jahr 2000, bzw. dem neuen Zuwanderungsgesetz im Jahr 2005. Aus der oben skizzierten postmigrantischen Perspektive stellt sich dieses als Konsequenz der nicht-intendierten Folgen der Massenanwerbung von ‘Gastarbeiter_innen’ dar: aus temporär gedachten Aufenthalten wurden selbstverständliche langfristige, mehrgenerationelle Lebensentwürfe und -projekte, die längst nicht mehr unter migrantischen Zuschreibungen funktionieren. Die angeworbenen Migrant_innen blieben nicht nur einfach - sie forcierten den Familiennachzug, forderten ebenbürtige Rechte ein und implementierten selbstständige Projekte, beispielsweise durch die Gründung eigener Betriebe, zunächst vor allem in der Gastronomie.[3]
Gleichwohl weisen Migrant_innen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nach wie vor beträchtliche Nachteile hinsichtlich Platzierung und Einkommen auf und unterschichten in Folge meistens den Teil der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Während die Unterschichtung für die erste Generation durch die selektive Migration relativ gut erklärbar war, so stehen die fortbestehenden Nachteile für die Folgegenerationen im Widerspruch zu den Prognosen klassischer Assimilationsmodelle. Im strukturellen Kernbereich der Gesellschaft lässt sich keine Angleichung feststellen, noch immer scheinen Migrant_innen von der Kontrolle zentraler Ressourcen abgeschnitten (Kogan 2004; Bender/Seifert 1996 ).[4]
Für Geflüchtete stellt sich die Situation trotz dieser Verschiebungen und jüngeren Maßnahmen wie etwa dem neuen Beschäftigungsrecht für Geflüchtete und Asylsuchende im Juli 2013 (BMJV 2013) oder der Reduzierung des Arbeitsverbots für Geflüchtete auf die ersten drei Monate im November 2014 gänzlich anders dar. Nach wie vor gilt für Geflüchtete, dass sie nach ihrer Ankunft in Deutschland 15 Monate lang lediglich einen "nachrangigen Zugang" zum Arbeitsmarkt haben. Dies bedeutet, dass im Einzelfall für jeden prinzipiell in Frage kommenden Arbeitsplatz geprüft wird, ob bevorrechtigte Arbeitnehmer_innen (Menschen mit deutschem Pass/EU-Ausländer_innen) für die Stelle in Frage kommen und somit vorzuziehen sind. Zudem kommt für Geflüchtete bei ihrer Suche nach einem Arbeitsplatz verstärkend negativ hinzu, dass potentielle Arbeiter_innen durch den eventuell noch nicht gesicherten Aufenthalt (Aufenthaltsgestattung/Duldung) vor einer Anstellung bzw. Ausbildung zurückschrecken. Eine weitere Hürde stellt der Umstand da, dass die Bildungsabschlüsse aus den Herkunftsländern der Geflüchteten in Deutschland nicht anerkannt werden. Da die vorrangige Zahl der Geflüchteten nach deutschem Recht jedoch nicht mehr regelschulpflichtig ist, haben sie wenig Chancen, einen deutschen Bildungsabschluss zu erwerben. Als letzter Punkt sei an dieser Stelle bezüglich der strukturellen Benachteiligung der Geflüchteten hinsichtlich ihres Zugangs zum Arbeitsmarkt die negative Auswirkung der sogenannten "Residenzpflicht" erwähnt. Die Verpflichtung auf einen bestimmten Wohnsitz und die Beschränkung des Bewegungsradius ist ein zentrales Hindernis bei der Suche nach einem Arbeitsverhältnis (Niedersächsischer Flüchtlingsrat o.J.).

Diskursive Inwertsetzung und differentielle Inklusion von Geflüchteten
Die Forderung nach dem Abbau der bestehenden Hürden des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete nimmt mittlerweile in der öffentlichen Diskussion eine prominente Position ein und wird lagerübergreifend von CDU bis GRÜNEN, von Gewerkschaften, der Industrie- und Handelskammer (IHK) bis zum Arbeitgeberverband gefordert. Im Folgenden wird ein Einblick in Argumente dieser Forderung gegeben, um deren Basis zu verstehen und darzulegen, welches Arbeitssubjekt damit adressiert wird.
So heißt es in der “Karlsruher Erklärung” des CDU-Bundesparteitags aus dem Dezember 2015, dass “Flüchtlinge [...] mit guter Bleibeperspektive so schnell wie möglich Arbeit annehmen” sollen, um Sozialkassen und Kommunen zu entlasten und durch ein reguläres Arbeitsverhältnis zu einer “gelungenen gesellschaftlichen Integration” beizutragen. Hierzu habe man “bereits 2014 das Arbeitsverbot für Asylbewerber deutlich gelockert und ihnen die Arbeitsaufnahme nach drei Monaten gestattet” (CDU 2015: 19f). Parallel dazu sehen die GRÜNEN in der “Vielzahl der Flüchtlinge” ein “großes Potenzial für unser Land”, da sie mit ihrer Integration in den Arbeitsmarkt im Stande wären, “den drohenden Mangel an Fachkräften und den demografischen Wandel zu bewältigen oder mindestens zu mildern” (Grüne Bundestagsfraktion 2016). Der Arbeitgeberverband sieht in der “Bereitschaft, Flüchtlingen eine Chance zu geben” einen “schwierige[n] und steinige[n], aber auf jeden Fall lohnende[n] Weg, auf den wir uns alle machen müssen” (Kramer 2016). Mit der Handreichung “Potentiale nutzen - geflüchtete Menschen beschäftigen” wirbt die Bundesagentur für Arbeit seit August 2015 für die Einbindung von Geflüchteten in Betriebe, da es sich “lohnen” würde, die “Potenziale von geflüchteten Menschen stärker in den Blick zu nehmen”. Viele brächten “berufliche und soziale Kompetenzen und Erfahrungen aus den Herkunftsländern” mit, die sich am Arbeitsplatz “auszahlen” würden. Darüber hinaus gäbe es eine “überdurchschnittliche Motivation, Eigeninitiative sowie eine hohe Lern- und Leistungsbereitschaft” (Bundesagentur für Arbeit 2015: 2). Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) argumentiert in diesem Ton. Der für Unternehmen entwickelte Leitfaden “Flüchtlinge in Ausbildung und Beschäftigung bringen” der IHK Rheinland-Pfalz aus dem Juli 2015 sieht “[v]or dem Hintergrund des demografiebedingten Mangels an Fachkräften” eine “Win-Win-Situation für alle Beteiligten” (IHK Rheinland-Pfalz 2015: 2) - Geflüchtete, Unternehmen und Staat. Daran anschließend wünscht sich die IHK Berlin eine Beschleunigung des Arbeitsmarktzugangs für Geflüchtete, während die IG Metall dafür sogar das europäische Dublin-System abschaffen will (vgl. Hoffmann 2015).
Die Diskursstränge um den Arbeitsmarktzugang von Geflüchteten verlaufen demnach in sich überschneidenden Bahnen. Sowohl die politische Sphäre als auch Wirtschaftsverbände und Betriebe argumentieren en gros für die Einbindung von Geflüchteten. “Hier sind wir alle einer Meinung”, konstatiert eine Ausbildungs- und Berufsinitiative zur Integration von geflüchteten Menschen in den Berliner Arbeitsmarkt, die an der Schnittstelle zu Betrieben fungiert, und die wir im Rahmen unserer Forschung interviewt haben.
Momentane gesellschaftliche Herausforderungen im Zuge der Migrationsbewegungen, der gleichzeitige Mangel an (Fach-)Arbeitskräften und die Probleme des demographischen Wandels seien darüber zu lösen. Zudem sei das gewinnbringende Potential des Arbeitssubjekts Geflüchteter zu erkennen und in die Gesellschaft zu integrieren. So stellt auch der “Masterplan Integration und Sicherheit” des Berliner Senats fest, dass die “Teilnahme am Erwerbsleben zu den wichtigsten Aspekten für erfolgreiche Integrationsverläufe [zählt]. Der Arbeitsmarktzugang ist eine elementare Voraussetzung” (Berliner Senat 2016, 42).
Hier trifft sich die politische und wirtschaftliche Sphäre mit Pilot- und Modellprojekten, die aus eher humanitärer Motivation heraus Arbeitsplätze für Menschen mit Flüchtlingsstatus schaffen wollen. Dieser humanitäre, auf Selbstempowernment ausgerichtete Ansatz setzt auf innovative Formen und das Ausschöpfen von rechtlichen Grauzonen, um beispielsweise Geflüchtete mittels eines Minijobs oder im Rahmen einer Projektfinanzierung für ihre Arbeit zu entlohnen und nebenbei noch integrative Angebote wie Sprachkurse oder ähnliches anzubieten. Ein Beispiel hierfür ist Cucula - Refugees Company for Crafts and Design, ein gemeinnütziger “Verein, Werkstatt und Schulprogramm”, um
“[i]m Gegensatz zur theoretischen Debatte über die Situation von Flüchtlingen in Deutschland [...] eine pragmatische und unmittelbare Praxis des Handelns zu erproben, die nicht ‘für’ sondern eben ‘gemeinsam mit’ Flüchtlingen entsteht” (Cucula e.V o.J.a).
Der Verein fertigt seit 2013 hochwertige Designmöbelstücke - beispielsweise aus Schiffsplanken der in Seenot geratenen Boote vor Lampedusa - und bildet hierzu Geflüchtete im Handwerk aus. In unterschiedlichen Medien steht die Initiative als Schlüsselbeispiel für gelungene Integration (vgl. Cucula e.V. o.J.b).
Die unterschiedlichen Begründungsmuster beim Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete eint also das Interesse an einer ‘Integration’ von Geflüchteten - jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven. Der umstrittene, uneindeutige Begriff der Integration wurde in sozial- und kulturwissenschaftlichen Abhandlungen vehement kritisiert und abgelehnt (vgl. u.a. Hess/Binder/Moser 2009; Bojadzijev 2012). Er fokussiert demnach auf eine starre containerartige Auffassung von (nationalen) Kulturen, und wird in der gängigen, popularen Debatte meist mit assimilierender Bringschuld der Ankommenden gleichgesetzt. Somit werden reale Aushandlungsverhältnisse und das stetig Prozesshafte einer (postmigrantischen) Gesellschaft negiert und das konstitutive Moment der Migration ausgeblendet.
In der Auseinandersetzung mit dem popularen Wiederaufkommen des Integrationsbegriffs im Zuge der Debatte um den Arbeitsmarktzugang erweist sich das Konzept der „differentiellen Inklusion“ von Sandro Mezzadra und Brett Neilson als besonders produktiv. Sie führen darin die Arbeitskraft in Aushandlungen um gesellschaftliche Teilhabe und in migrantischen Grenzfiguren als zentrale Analysekategorie ein (vgl. Mezzadra/Neilson 2013). Die Prozesse der “differentiellen Inklusion” meinen eine „selektive Eingliederung von MigrantInnen in den Raum europäischer Bürgerschaft und von Migrationsarbeit in die europäischen Arbeitsmärkte“ (Mezzadra 2013, 391, Herv. i. Orig.). An der Grenze, der liminalen Zone an den Rändern Europas, wird dabei in einem „System der Filterung und Schichtung, das als Maßnahme zur Hierarchisierung und Kontrolle fungiert“ (Mezzadra/Neilson 2008), nach Herkunft und Status selektiert, Kategorien produziert und diese hierarchisch geschichtet. Mit dieser Perspektive lässt sich konstatieren, dass es in einem hegemonialen System weniger um eine totale Abschottung geht, sondern um eine abgestufte Einbindung. So stellen auch Analysen zum europäischen Grenzregime fest:
„Die Grenze ist also eine selektierende und kategorisierende Hierarchisierungsinstitution. Damit wird auch ihre Porösität nicht als Krise und Versagen, sondern als kalkulierte Norm verstehbar“ (Hess u.a. 2014, 17).
Aus dieser Perspektive lassen sich zwei Folgerungen ziehen: die stetigen Migrationsbewegungen lassen sich nur temporär aufhalten und gegebenenfalls entschleunigen. Nicht zuletzt der vergangene Sommer hat gezeigt, dass Kontroll- und Rechtssysteme, physische Barrieren und Repression nicht zwangsläufig Hindernisse darstellen, wenn sich Menschen entschlossen auf den Weg machen. Die Dynamik der Migration lässt sich nur bis zu einem gewissen Grad steuern; andernfalls sucht sie sich selbst neue, alternative Möglichkeiten, um ihr mobiles Projekt zu verwirklichen. Andererseits ist das Motiv der als ‘Migrationsmanagement’ deklarierten Regierungsform der europäischen Staaten die kontrollierte Hereinnahme von migrantischen Subjektivitäten:
„Die totale Abschottung ist praktisch nicht durchsetzbar, und zugleich ist sie selbst für die politischen Entscheidungsträger in Europa nicht ein wirklich zu verfolgendes Ziel“ (Cuttitta 2010: 29).
Begründungen hierfür sind wiederum unter anderem im oben skizzierten Diskurs um einen Arbeitskräftebedarf auf den europäischen Märkten - zum Beispiel durch demographischen Wandel - zu sehen. So ließ die Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007 verlauten, dass
„[d]ie europäischen Wirtschafts- und Sozialsysteme auf Einwanderung angewiesen [seien], allein schon deshalb, weil die Geburtenrate in Europa zu niedrig sei“ (Cuttitta 2010: 29).
Die (differentielle) Inklusion funktioniert darüber nach einer der kapitalistischen Verwertungslogik entstammenden Notwendigkeit an ‘Humankapital’. Auch in einer postfordistischen Moderne ist das Wirtschaftssystem auf die physische Präsenz der Ware Arbeitskraft angewiesen, die an den lebendigen Körpern der Migrant_innen haftet.

“Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan” im Fokus
Nachdem wir nun das diskursive Feld um den Arbeitsmarktzugang von Geflüchteten als eine Form der differentiellen Inklusion konzeptualisiert haben, wollen wir uns nun den empirischen Erkenntnissen unserer Forschung zuwenden, die wir resultierend aus unserem freien Interesse an Fragen an der Schnittstelle von zeitgenössischen Arbeitskulturen und Migrationsprozessen durchgeführt haben. Im Rahmen der Forschung haben wir Interviews mit Mitarbeiter_innen und Leiter_innen von kleineren Berliner Handwerksbetrieben – Automechaniker, Tischlerei, Malerbetrieb - mit einer Zahl von vier bis sieben Beschäftigten sowie mit zwei Handwerksinnungen (Metall- und Maler-/Lackiererinnung) geführt. Dabei haben wir untersucht, wie innerhalb kleiner Handwerksbetriebe Geflüchtete in die Arbeitsprozesse einbezogen werden, wie dies von den Mitarbeiter_innen reflektiert und wie die so neu geschaffene Arbeitssituation von den Beteiligten erlebt und interpretiert wird. Der Fokus auf Handwerksbetriebe liegt in der gewichtigen Stimme der Berufssparte innerhalb der Diskussion um den Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete begründet:
“Hand in Hand – etwa in einem Handwerksbetrieb – gelingt Integration am besten. Die überschaubare Größe, die klare Aufgabenverteilung, der beständige Kontakt zwischen Kolleginnen und Kollegen auf der Baustelle, im Betrieb oder im Geschäft helfen dabei. Viele Flüchtlinge des Balkankrieges haben das in den 90er Jahren erfahren, ebenso die vielen Spätaussiedler. Oft sind Arbeitsbeziehungen oder sogar Freundschaften fürs Leben entstanden. [...] [D]en jungen Menschen, die vielleicht viele Jahre bei uns leben werden, muss eine ganzheitliche Ausbildung in einem Handwerksberuf vermittelt werden. Wir brauchen keine Schubkarren-Schieber, wir brauchen Fachkräfte” (Wollseifer 2016).
Quelle: Deutscher Handwerkskammertag e.V.


Die handwerklichen Betriebe begreifen wir mit Pierre Bourdieu als "soziale Mikrokosmen" (Bourdieu/Wacquant 1996, 127), sprich als relativ eigenständige Felder gesellschaftlicher Arbeit, innerhalb derer eine spezifische Logik vorherrschend ist, die sich wiederum in den Bewertungs- und Wahrnehmungsschemata ihrer Akteur_innen niederschlägt.
Bei der Annäherung an den umstrittenen Begriff des Handwerks folgen wir der gängigsten Definition, die Handwerk betrieblich und funktional interpretiert, und somit Anschlüsse für ein sozialwissenschaftliches Verständnis bietet:
„Handwerk ist selbstständige Erwerbstätigkeit, gerichtet auf die Befriedigung individualisierter Bedürfnisse durch Leistungen, die ein Ergebnis der Persönlichkeit des gewerblichen Unternehmers, seiner umfassenden beruflichen Ausbildung und des üblichen Einsatzes seiner persönlichen Mittel und Kräfte sind” (Recontres de St. Gall von 1949. Zit. nach Glasl et al. 2008, 8).
Generell werden als besondere Charakteristika des Handwerks neben der rechtlichen Selbstständigkeit und der Berufsbildung die produktionsspezifischen Leistungen wie die Vorrangigkeit der Handarbeit, die individuelle Konzeption und die Instandsetzung (Reparatur) angeführt (ebd., 8f). Als Stichwortgeber einer sozialwissenschaftlichen Interpretation ist Karl Marx anzuführen, der das Handwerk neben der Bauernwirtschaft als Antipode der kapitalistischen Produktionsweise interpretiert, da dessen soziales Ordnungssystem der Zünfte die Ausrichtung auf industrielle Standards verhinderte. Durch die Verunmöglichung der Teilung der Arbeit
"ging aber auch jeder mittelalterliche Handwerker ganz in seiner Arbeit auf, hatte ein gemütliches Knechtschaftsverhältnis zu ihr und war viel mehr als der moderne Arbeiter, dem seine Arbeit gleichgültig ist, in sie eingebunden“ (Marx 1956, 52).
In jüngerer Zeit hat prominent Richard Senett den Begriff des Handwerks als praktisches Versprechen "das materielle Leben humaner [zu] gestalten" (Senett 2008, 18) aufgegriffen.
Im Folgenden möchten wir anhand einiger empirischer Interviewausschnitte mit den Meistern aus den handwerklichen Betrieben – allesamt Berliner Traditionswerkstätten, die als Partner der Berufs- und Ausbildungsinitative für Geflüchtete „Arrivo Berlin“ gelistet sind – und Vertreter_innen der Innungen einen Einblick in die diskursive Position dieser Berufssparte geben und anhand der bereits dargelegten theoretischen Konzepte analysieren.

Der Handwerksbetrieb als leistungsbasierter Inklusionsraum
“Was draußen los ist, verändert auch das Klima im Betrieb. Die Betriebe spüren die Verantwortung. Viele nehmen jetzt Flüchtlinge auf. Als Chef ist man da so eine Art Pate, der den Laden zusammenhält. Wer bei uns anpackt, der gehört dazu. Das ist hier die Denke. So. Wichtig ist, ich bin kein Sozialunternehmen. Engagement ist wichtig, von beiden Seiten” (Interview Automechanikermeister vom 23.1.2016).
In dem angeführten Zitat kommt eine Haltung zum Ausdruck, die stellvertretend für eine gegenüber uns eingenommene Perspektive der Betriebe ist. Derzufolge steht an erster Stelle die grundlegende Leistungsbereitschaft aller Mitarbeiter_innen, die ihren ‘Wert’ für das Unternehmen und im Produktionsprozess bestimmt. Diese Kategorisierung verschafft auch Geflüchteten die Möglichkeit zur erfolgreichen Einpassung in den betrieblichen Abläufen. Die gesellschaftlichen Herausforderungen im Umgang mit Migration und Flucht wird also innerhalb der Betriebe als produktives Moment angesehen. Diese Wahrnehmung resultiert nicht zuletzt daraus, dass die Selektion hinsichtlich der Frage wer arbeitsberechtigt und für ein spezifisches Handwerk gewinnbringend einzusetzen ist, bereits vor der Aufnahme in den Betrieb stattfindet. In diesem Filterungsprozess arbeiten Handwerksinnungen gemeinsam mit Vermittlungsinitiativen und staatlichen Institutionen in einem komplexen Netz unterschiedlicher Maßnahmen. Auf betrieblicher Ebene wird das Leistungsparadigma in der Regel mit dem diskursiven Bezug auf den sogenannten Fachkräftemangel gekoppelt:
“Der Fachkräftemangel und der demographische Wandel führen zu einer sehr angespannten Situation. Da kann man sich überall im Handwerk umhören, da kann jeder Betrieb ein Lied von singen. Klar: hier sind Betriebe wie unserer anscheinend nicht mehr nachgefragt. Heute studieren doch fast alle. Die Flüchtlinge dagegen wollen sich hier was aufbauen und sind motiviert, das ist was wir brauchen. Wir sind also auf die Einwanderung angewiesen” (Interview Malermeister vom 7.2.2016).
Der Rekurs auf den handwerklichen Fachkräftemangel wurde von allen unseren Gesprächspartner_innen unternommen. Dies ist bemerkenswert eingedenk des Umstandes, dass drei der interviewten Handwerksmeister angaben, bezüglich der Entwicklung ihres Betriebs optimistisch und auch hinsichtlich jungem Personal gut aufgestellt zu sein. Die Häufungen des Insistierens auf den allgemeinen Fachkräftemangel sind daher als Indikatoren der Identifikation mit dem Handwerk als solchem verstehbar. Sie lassen sich mit Gerrit Herlyn als „rhetorische Figuren [...] verstehen, die aus Sicht der handelnden und deutenden Subjekte Orientierung und Ordnung, aber auch Legitimation und Rechtfertigung sind" (Herlyn 2007, 168).
Das Motiv der Einbindung von Geflüchteten in die Betriebe unter Verweis auf den Fachkräftemangel folgt in erster Linie einem ökonomischen Kalkül. Darin passt sich auch eine sich durchziehende Logik eines pragmatisch-realpolitischen Ansatzes ein, in dem nur Leistungswilligen Arbeit ermöglicht werden soll, der rechtliche status quo zum Beispiel bei Abschiebungen als gegeben und sinnvoll hingenommen wird und nur im Sinne des Verwertungszusammenhangs Veränderungen angestrebt werden. Dies verquickt sich aber mit humanitären Argumentationslinien:
“Die Arbeitsintegration ist der Schlüssel für Integration. Wenn ein Handwerksbetrieb einen Flüchtling übernimmt, ist das so, wie wenn eine Familie jemanden adoptiert. Für mich ist das eine Herzensangelegenheit, für unser Land und auch für die Flüchtlinge selbst. Die können sich dann hier einfügen, und wir lernen aufeinander zuzugehen. Da wird auch viel kulturelles Verständnis vermittelt. Das sind die Erfolgsindikatoren für gelingende Integration” (Interview Tischlermeister vom 17.2.2016).
Die Arbeitsform des Handwerks erlaubt ein Erlernen der Arbeitsabläufe direkt in den Prozessen selbst. Hierin wird auch ein zentraler Vorteil gegenüber der Industrie gesehen. Diese ist demnach eine
“losgelöste Ausbildungswerkstatt, die immer so ein bisschen Kuschelfaktor hat.  Bei uns [im Handwerk] wird man sofort reingeschubst. Alles ist viel enger in den ganzen Prozess eingebunden. Man kriegt auch mehr Sozialkompetenzen vermittelt” (Interview Vertreter der Innung für Metall- und Kunststofftechnik vom 3.2.2016).
Häufig entstehen dadurch Formen des Paternalismus, in denen zwar die Arbeitskraft im Vordergrund steht, zugleich jedoch positive Momente der gesellschaftlichen Integration der Geflüchteten über die Arbeit im Betrieb, ermöglicht durch die Arbeitgebenden, hervorgehoben werden. Dabei wird auf die Beschaffenheit eines Handwerksbetriebes rekurriert, in dem der direkte Austausch und die Kommunikation, somit eine Zusammenarbeit der gesamten Belegschaft ausschlaggebend ist:
“In den Betrieben werden die Geflüchteten besser in die Gesellschaft integriert. Der Betrieb ist so eine Art Mikrokosmos. Man muss raus, auf die Baustelle, manchmal ist der Ton dann auch ruppiger. Das ist die Realität und die vermittelt man. [...] Und das findet in beide Richtungen statt. Die Kollegen sprechen ja auch untereinander. Man muss da schon immer wieder klar machen, dass das hier so läuft, jeder macht seine Arbeit, und da ist’s auch kein Problem, wenn der Isi mal zum beten in den Gemeinschaftsraum geht. Wenn der dann aus dem Libanon erzählt, das bewirkt viel mehr als jede Schulung zu interkultureller Kompetenz” (Interview Tischlermeister vom 17.2.2016).
Diese Schilderung des Betriebsklimas durch den Tischlermeister und die Einbindung des Geflüchteten Isi steht symptomatisch für sich im gelebten Alltag enstellende konviviale Momente (vgl. Nowicka/Vertovec 2014), einer “positiven Vision eines Zusammenlebens” (Adloff 2014: 8), unter besonderer Berücksichtigung der “Qualität sozialer Beziehungen [...] in praktische[n] Formen des friedlichen Miteinanders” (ebd.: 9), das heißt dass ein auf die_den Andere_n bezogener, freundlicher Umgang gepflegt wird. Der in unterschiedlichen - vor allem philosophischen und ökologisch-wachstumskritischen - Strömungen (vgl. Illich 1975; Gilroy 2004) diskutierte Begriff der Konvivialität artikuliert sich in Diskussionen um bedürfnisorientierte Produktion - und damit auf eine auf (demokratische) Kommunikation ausgerichtete (materielle) Wertschöpfung jenseits klassistischer, rassistischer, sexistischer, nationalistischer, utilitaristischer oder identitärer Beziehungen. “Radikale und universelle Gleichheit” (Adloff 2014: 16) ist damit die Basis konvivialen Zusammenlebens. In dem hier betrachteten Feld ergibt sich sogleich eine Kritik am Konzept: das Machtgefälle zwischen Arbeitgeber_in und geflüchtetem_r Arbeitnehmer_in enthält nicht nur die klassische Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel oder andersherum den Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft, sondern auch die skizzierten strukturellen Barrieren und sprachlichen Nachteile. Dennoch kann in konvivialen Momenten innerhalb des Betriebs unter der Belegschaft durchaus eine Vision eines möglichen gesellschaftlichen Zusammenlebens entstehen, das der postmigrantischen Vorstellung entspricht. Hieran könnten künftige empirische Forschungen in den Betrieben anschließen.

Auf dem Weg in eine neue Gesellschaft?
Die vehement geführten Debatten um Arbeit und hier dargelegten Begründungsmuster sowie Diskurse um die Einbindung von Geflüchteten in (Handwerks-)Betriebe stehen symptomatisch für die Realität einer postmigrantischen Gesellschaft.
Die aufgeführten empirischen Ausschnitte zeigen somit nur eine Seite der Medaille. Der Diskurs um den Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete und die konkrete Aufnahme von Ausbildungsprogrammen oder Praktikastellen durch Betriebe folgt einer pragmatischen Ausschöpfung der Möglichkeiten in einer postmigrantischen Gesellschaft, in der sich die Migration als potentielles Arbeitssubjekt auf die Tagesordnung geschrieben hat. Dies führt jedoch im Sinne der “differentiellen Inklusion” nicht direkt zu einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe, zu umfassender Konvivialität, dem Treffen auf Augenhöhe gesellschaftlicher Positionierungen oder gar der Überwindung von (rassistischen) Abgrenzungen. Wir sind demnach mitten in der Aushandlung eines postmigrantischen Spannungsraums, der Momente des Potentials einer Gesellschaftskonzeption denken lässt, die auf „Rechtsprechungen und Gerechtigkeitsordnungen jenseits der Politik der Staatsbürgerschaft zielt“ (Tsianos/Karakayalı 2014, 6). Perspektivisch wäre darin die Überwindung der Nation bzw. des Nationalstaats zu verhandeln, indem die Ordnungskonstante Bürgerschaft ad acta gelegt wird und somit ein tatsächlich neues gesellschaftliches Zusammenleben ermöglicht wird.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Adloff, Frank (2014): “Es gibt schon ein richtiges Leben im falschen.” Konvivialismus – zum Hintergrund einer Debatte. In: ders./Leggewie, Claus (Hg.): Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Zukunft des Zusammenlebens. Bielefeld, 7-32.

Althans, Birgit/Audehm, Kathrin/Binder, Beate et al. (Hg.) (2008): Kreativität. Eine Rückrufaktion. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1. Bielefeld.

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Endnoten

[1]          Zur Genealogie und definitorischen Bandbreite des Begriffs siehe Liebig (2015).
[2]                 Das Konzept stammt ursprünglich aus der Arbeits- und Industriesoziologie. Karin Gottschall und Günther Voß (2003, 18) definieren Entgrenzung als einen Prozess, in dem „unter bestimmten historischen Bedingungen entstandene gesellschaftliche Strukturen der regulierenden Begrenzung von sozialen Vorgängen ganz oder partiell erodieren oder sogar bewusst ausgedünnt werden“ (Herv. i. O.). Hinsichtlich des wachsenden Zugriffs auf das Wissen von Arbeitssubjekten als Ressource der Produktion scheint uns insbesondere das in jüngerer Zeit aufgekommene Konzept des kognitiven Kapitalismus (Lorey/Neundlinger 2012; Koch/Warneken 2012) produktive Anstöße für empirischer Untersuchungen von Entgrenzungsprozessen liefern zu können.
[3]          Zu den Kämpfen und Projekten der Gastarbeiter_innen in flexiblen Mobilitätsströmen siehe Bojadzijev (2012).
[4]          Bei der Erklärung dieses Residualeffekts stehen sich im Wesentlichen zwei theoretische Ansätze gegenüber. Die Humankapital-Theorie führt die dauerhafte Benachteiligung der Migrant_innen auf einen Mangel in der Ausstattung mit arbeitsmarktrelevanten Ressourcen zurückgeführt. Die Diskriminierungstheorie geht davon aus, dass Migrant_inen aufgrund ethnisierter Wahrnehmungs- und Selektionsmuster in der Gesellschaft der sozioökonomische Aufstieg verwehrt wird. Vergleiche vertiefend Granato/Kalter (2001), Arrow (1998).


Den Beitrag bitte wie folgt zitieren: 
Jan Lange, Manuel Liebig (2016): Hand in Hand in die postmigrantische Arbeitsgesellschaft?  Aushandlungen um Arbeit für Geflüchtete im Spiegel handwerklicher Kleinbetriebe zwischen Leistung und Inklusion. In: Gökce Yurdakul, Regina Römhild, Anja Schwanhäußer, Birgit zur Nieden, Aleksandra Lakic, Serhat Karakayali (Hg.): E-Book Project of Humboldt-University Students: Witnessing the Transition: Refugees, Asylum-Seekers and Migrants in Transnational Perspective. Preview (Weblog), https://www.blogger.com/blogger.g?blogID=863130166696833325#editor/target=post;postID=3697950972162993466;onPublishedMenu=allposts;onClosedMenu=allposts;postNum=0;src=link


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